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Zweites Kapitel
Die Weltanschauung der Quellen und ihr Verhältnis zum ‘Staat’ und zur ‘Kirche’

Die ‘Staats’idee Ottos III. und seines Kreises ist, wie die deutschen Historiker immer mit besonderem Nachdruck hervorgehoben haben, eine Mischung von weltlichen und kirchlichen Elementen. Diese Begriffsbestimmung ist aber keineswegs erschöpfend; sie ist nur eine vorläufige Abstraktion, ein Hilfsmittel der modernen begrifflichen Systematik, die aber meistens ‘weltlich’ und ‘kirchlich’ als eine Art Polarität oder wenigstens erst als eine sekundäre Einheit auffasst. Mit diesem modernen Gegensatz meinte die Mehrzahl der Geschichtsschreiber des ottonischen Zeitalters arbeiten zu können; sie beobachteten in den mittelalterlichen Verhältnissen die andauernde Spannung zwischen den ‘weltlichen’ und ‘geistlichen’ Gewalten, zwischen den politisch-ökonomischen und den religiös-christlichen Gedanken und glaubten aus der unleugbaren Anwesenheit dieser Spannung auf einen staatlichkirchlichen Kontrast schliessen zu dürfen.

Ein Faktor wurde dabei übersehen. Man versäumte gewöhnlich den Gehalt der Begriffe ‘Staat’ und ‘Kirche’ vorher zu prüfen; man nahm die Wörter als feststehende, nur gegenseitig wechselnde Inhalte auf, als ob das romanische Mittelalter überhaupt einen ‘Staat’ und eine ‘Kirche’ in modernem Sinne (sei es mit erheblichen Variationen) gekannt hätte. Faktisch wurde zugegeben, begrifflich aber vergessen, dass der ‘Staat’ um das Jahr 1000 kaum geboren war, dass man von einem nach modernen Gesetzen geordneten Nationalstaat noch keine Ahnung hatte; dass die ‘Kirche’ nicht, wie später, ein dem ‘Staat’ entgegengesetzter Pol war, dass sie ebensowenig einen Konkurrenzkampf zu führen brauchte oder, dem Staat gegenüber, spezielle ‘geistliche’ Interessen verfolgen musste. Denn alle diese Ausdrücke vertreten durchaus moderne Werte; und man irrt sich, wenn man das unter Hinweis auf

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das Alleemeinmenschliche dieser Gegensätze ignoriert. Es bleiben ganze Tatsachen- und Gedankengruppen unerklärt, wenn man auf die Formunterschiede keine Rücksicht nimmt; und man wild nicht mit Unrecht viele der herrschenden anachronistischen Vorstellungen auf diese ungenaue Definition der Grundbegriffe zurückführen müssen. Von Eicken, der ‘die Verneinung des Irdischen als das Prinzip der mittelalterlichen Sittenlehre’ ansieht90, schliesst, wie Bernheim eingesehen hat91, die Möglichkeit einer richtigen Interpretation der christlich-mittelalterlichen Staatsanschauungen aus; wie soll man sich einen Staat denken, der sich selbst organisieren und im nämlichen Augenblick verneinen muss! Der Gedanke wäre schon im voraus unwahrscheinlich, weil es gerade eine Eigentümlichkeit des ‘Staates’ ist, sich in seinen moralischen Grundlagen auf die gangbaren ‘kirchlichen’ Ideen zu stützen. Auch wenn man also annimmt, dass in den Menschen aller Zeiten analoge Triebe bestehen, dass analoge Leidenschaften die Entwicklung der geschichtlichen Gruppierungen verursachen, hat man damit über die Form dieser Gruppierungen noch nichts gesagt; der Verneinungstrieb, die Verschmähung des Irdischen im asketischen Akt z.B., die wir bei Otto III. so stark ausgeprägt finden, sind für die heutige Gesellschaft als anti-sozial zu bezeichnen, indessen sie für die mittelalterliche in gewissen Fällen sozial sein können.

Die Hauptfrage ist: mit welchen sozialen Konsequenzen war eine Idee verknüpft, wie verhielten sich die Theorie der Weltanschauung und die Praxis der sozialen und politischen Aktivität? Nur eine solche Problemstellung kann zu einer Rekonstruktion der gesellschaftlichen Formen führen; auch unter Beibehaltung der Terminologie ‘Staat’ und ‘Kirche’; (denn schliesslich muss man ja doch immer wieder in moderne Begriffe übersetzen) hat man sich dann klar gemacht, dass es sich hier um andere Gedankenverbindungen handelt. Gelegentlich werden wir aber mit Bernheim die Ausdrücke ‘Regnum’ und ‘Sacerdotium’ verwenden, weil ihnen nicht der Nebengeschmack des Anachronistischen anhaftet und durch die blosse Benennung die Eigenheit des Verhältnisses angedeutet wird.

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Zwischen Regnum und Sacerdotium besteht eine Spannung, aber diese Spannung ist nicht ohne weiteres mit der modernen Polarität Staat-Kirche zu identifizieren: in dieser These ist der Ausgangspunkt gegeben. Im Grunde war sie schon abzuleiten aus den Meinungsverschiedenheiten der Autoren, deren Zeugnisse wir oben anführten; sie waren sich zwar einig, dass die Spannung der beiden Gewalten existierte, gingen jedoch in ihrer Beurteilung dieser Spannung auseinander. Einer betrachtete den ‘Staat’ als die sich emporarbeitende Macht der Zukunft; der andere beschäftigte sich hauptsächlich mit der ideellen Einheit der ‘Kirche’92; und selbstverständlich hatten sie in abstracto auch beide Recht dazu. Nur blieb das Eigentümliche, der kausale Zusammenhang von Gedanken und Taten, von Motiv und Handlung, dabei unklar; denn die Motive des zehnten Jahrhunderts waren weder politisch noch religiös in unserem Sinne und die Handlungen bezweckten weder ‘staatliche’ noch ‘kirchliche’ Interessen; sie waren einfach gebunden durch die Untrennbarkeit dieser von der Neuzeit in Staat und Kirche abstrahierten Begriffe. Ein Staat ohne Kirche, eine Kirche ohne irdische Ausstrahlung im weltlichen Staat war für das romanische Mittelalter nicht bloss eine Undenkbarkeit, sondern folglich auch eine politische Unmöglichkeit; erst später vertritt der Nationalstaat absichtlich anti-universalistische Tendenzen. Die Spannung zwischen Kaiser und Papst darf man nicht erklären als einen gegenseitigen Macchiavellismus der beiden Mächte, der nur durch die oberflächliche Hülle der christlichen Gemeinschaft verdeckt wurde. Ein bewusster, theoretisch formulierter Gegensatz bestand nicht; er hat sich allmählich gebildet, war aber um das Jahr 1000 nicht vorhanden. Im Gegenteil, man sieht sogar Kaiser und Papst während dieser kurzen Periode aufrichtig zusammenarbeiten und es gibt keinen Grund, diese Aufrichtigkeit zu bezweifeln. Nicht nur die Idee des Kaisertums war, trotz der wiederholten Thronstreitigkeiten, höchtst vital; auch die zweite universale Macht, das Papsttum, hatte die Zeiten der Pornokratie überdauert. Sogar in den grossen Wirren um Reims, welche Richer ausführlich und in dunklen Farben gezeichnet hat93, bleibt die Autorität Roms im wesent-

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lichen unerschüttert, weiss das verdorbene Papsttum sich durch seinen ideellen Einfluss zu behaupten94. Diese Autorität ist völlig unabhängig von der Persönlichkeit des Papstes; so stark ist schon die Stellung des römischen Bischofs, dass der unwürdige Vertreter des Pontifikats kraft seiner rein geistlichen Superiorität es wagen kann, den rechtmässigen Vorwürfen Gerberts und Arnulfs von Orléans zu widerstreben, in den schwierigsten Verhältnissen an die Aussprüche eines Gelasius zu appellieren95, deren Wirkung uns auf immer unverständlich bleiben wird, solange wir nicht ihren unlöslichen Zusammenhang mit den politischen Vorgängen anerkannt haben. Der Charakter dieses Zusammenhanges, das wesentliche Fundament der ‘Staats’idee Ottos III., erklärt sich aus den Anschauungen Augustins, die wir hier deshalb unter dem neuen Aspekt der Theorie Bernheims kurz überblicken wollen.

 

Der ‘Staat’ des Mittelalters wurzelt, wie Bernheim im ersten Kapitel seiner Zeitanschauungen vorzüglich klargestellt hat, in den Gedanken Augustins, dessen Civitas Dei durch zahllose Kanäle das politische Gedankenbild beeinflusst hat. Es handelt sich um mehr als eine oberflächliche Berührung; das Mittelalter hat die gewaltige Spekulation des früh-christlichen Denkers aufgesogen und praktisch verarbeitet, so dass kein Gebiet des Lebens von ihrer Wirkung freiblieb. Selbstverständlich wurde dieser Einfluss Augustins bereits früher in Betracht gezogen; sein Umfang wurde dann aber meistens auf Fragen religionsgeschichtlicher Art beschränkt und häufig unrichtig auf das politische Leben bezogen. Die Relation zwischen den augustinischen Ideen und der päpstlichen Politik z.B. trat niemals deutlich hervor; man liess, wie Bernheim sagt, ‘den Dogmatikern ihren Augustinus und den Historikern ihre Päpste’96.

Es ist für unseren Gegenstand wichtig, die Realität der augustinischen ‘Staats’idee in ihrer vollen Bedeutung zu würdigen, weil sonst das Weltherrschaftskonzept Ottos III. und Silvesters II. niemals zu verstehen ist. Man kann sich nicht deutlich genug vorstellen, in welchem Masse die augustinische Begriffsbildung eine andere Konstellation des Geistes

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meint als die unsrige; das eröffnet sich übrigens schon bei der Lektüre der Quellen, die sich häufig in für uns bedeutungslose Besonderheiten verlieren, den sie offenbar das grösste Gewicht beilegen. Eine Art Unfähigkeit zu einer wirklichen Logik des Erzählens ist das nicht; es ist nur eine Logik, die nicht durch unsere psychologischen Normen, sondern durch die Psychologie des augustinischen Weltanschauungssystems bedingt ist.

Der augustinische ‘Staat’ versucht auf seine Weise das Problem der Sündigkeit des Menschengeschlechts, wie es sich in den Verhältnissen des sozialen Lebens zeigt, zu lösen; seine Aufgabe ist demnach, die staatliche Praxis von dem ziemlich schroffen Dualismus der christlichen Ethik zu befreien, den Gegensatz von Gut und Böse in den gesellschaftlichen Formen wenigstens mit den menschlichen Bedürfnissen in Einklang zu bringen. Dabei soll man nicht mehr an eine metaphysische Spekulation denken; wie der ethische Dualismus für die mittlalterlichen Individuen das Alphabet ihres Seelenlebens gewerden war, so entwickelte sich die soziale Anpassung allmähoich als eine Notwendigkeit aus den Organisationsbedürfnissen der Völker97. Der Kern, die Möglichkeit, ist aber schon in der Civitas Dei gegeben; sie hat das theoretische Mater al geliefert. Die mittelalterlichen Schriftsteller drücken die Weilt mit Hilfe ihrer dualistischen Formulierung aus, weil diese sich als der selbstverständliche und adäquate Ausdruck darbietet. Von Metaphysik ist dabei also nur die Rede, soweit die ‘Staats’lehre sich mit der Sphäre des Überirdischen beschäftigt; im übrigen ist das augustinische System in seinen praktischen Konsequenzen ebensowenig ‘spekulativ’ wie z.B. das liberale des neunzehnten Jahrhunderts; es ist ebenso fest verbunden mit der Realität wie jede zur Anwendung gebrachte Gesellschaftstheorie. Gewiss ist es nicht übertrieben, wenn man sagt, dass das Wort ‘Tyrannus’ den Diplomaten des ottonischen Zeitalters ein geläufiger und selbstverständlicher, äusserst konkreter Ausdruck war, dem man weniger einen Gefühlswert als einen rein sachlichen Gehalt beizumessen hat. Kurz, Augustins Schöpfung, die Civitas Dei, hat für die Quellen des zehnten Jahrhunderts nicht die Bedeutung

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eines gelesenen und kritisierten Buches, sondern eines mit dem Gedankenleben unscheidbar verbundenen Ideenarsenals.

Augustins Dualismus ist, von politischem Standpunkte betrachtet, weniger unversöhnlich als man durchschnittlich angenommen hat. In der von Bernheim zitierten Literatur kommt ausserdem eine allgemeine Unterschätzung der Leistung des Denkers ans Licht, die sich keineswegs durch Bau und Wirkungssphäre der Civitas Dei rechtfertigen lässt. Es ist hier nicht der Ort, darauf weiter einzugehen; soviel ist sicher, dass niemals eine Gesellschaft ihren Anhalt in diesem Buch gefunden hätte, wenn es nur negative Resultate für das politische Denken hätte verschaffen können. Negativ in seiner Beurteilung der irdischen Güter ist Augustin durchaus nicht; im Gegenteil, ‘Augustinus hat gegenüber dem Grundgedanken orientalisch gerichteter Sekten, dass von Uranfang und selbständig eine Macht der Finsternis und eine Macht des Lichtes bestehe, den neuplatonischen Grundgedanken des Christentums energisch geltend gemacht und durchgeführt, dass uranfänglich und immerdar nur eine Gottesmacht bestehe, von der sich die teuflische durch Zulassung Gottes nur zeitweilig losgesagt und in einen Kampf gestürzt hat, der letzten Endes ihre ewige Niederlage herbeiführt. Die Schöpfung, die irdische Welt, ist nicht ein Werk der Finsternis, sondern ein Werk Gottes und fällt nur durch eigene Schuld dem Wirken des Teufels anheim, soweit Gott es zulässt’98. Folglich ist die Schöpfung nicht unbedingt als sündig zu verschmähen, sondern mit Mass als eine Gottesgabe hinzunehmen; die Frage ist, was man aus ihr macht.

Wir müssen hier in Erwägung ziehen, dass Augustin bei seiner Begriffsbildung nicht mit der Methode des modernen wissenschaftlichen Denkens arbeitet. ‘Es ist von unsrem heutigen Standpunkt als Leser wohl als Fehler zu nennen, dass er nicht durchweg je eindeutige Bezeichungen für verwandte Begriffe verschiedenen Umfangs, die er doch begrifflich auseinanderhält und in ihren Unterschieden dargelegt hat, gibt und festhält, oder dass er nicht wenigstens konsequent andeutet, ob er den Begriff, wie wir in solchen Fällen sagen, jeweils im engeren oder weiteren Sinne meint, ob er ihn im

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eigentlichen, wahren Sinne oder im allgemeinen Sinne verwendet’99. So entstehen Abstufungen der Begriffe, die, wie Bernheim den älteren Autoren gegenüber gezeigt hat, sich systematisch in den augustinischen Gedankengang fügen und nur durch anachronistische Missverständnisse Veranlassung geben konnten zur Theorie der diabolischen Natur des Staates: einer Theorie, welche in ihrer ganzen Tragweite einen geordneten staatlichen Mechanismus des Mittelalters überhaupt nahezu als eine Unmöglichkeit hätte verwerfen müssen. Gerade in den begrifflichen Abstufungen liegt die praktische Fruchtbarkeit der Civitas Dei; gerade dadurch gewinnt sie die Elastizität, ohne die keine Metaphysik sich mit der politischen Alltagsrealität versöhnen lässt, ohne die keine systematisch organisierte ‘staatliche’ Betätigung der mittelalterlichen Mächte (neben und verbunden mit ihren ‘kirchlichen’ Ansprüchen) denkbar ist.

Augustin unterscheidet also im Rahmen seiner relativ-dualistischen Weltanschauung erstens vier verschiedene Civitates nach zwei Grundarten: die ‘Civitates Dei’ (civitas coelestis und terrena) und die ‘Civitates Diaboli’ in einer analogen Differenzierung des Überirdischen und des Irdischen100. In dieser Form wäre eine psychologische Erklärung der irdischen Civitas noch ausgeschlossen gewesen; diese ist ja weder als göttlich noch als teuflisch zu qualifizieren und auch wenn man ihre Komponente als ‘imagines’ der überirdischen Civitates betrachtet, muss man sich noch mit dem Charakter ihrer irdischen Mischung abfinden. So unterscheidet Augustin weiter noch eine ‘Civitas permixta’101, womit die verschiedenen Begrenzungen seines Begriffs ‘Ecclesia’102 zusammenhängen; dementsprechend gebraucht er ‘Civitas terrena’ und ‘coelestis’ in wechselnd ausgedehnter Bedeutung103. Dieses corpus permixtum ist die Kirche, welche Christus auf Erden gegründet hat, in der alle Abstufungen der Frömmigkeit enthalten sind; nur durchaus nicht in dem Sinne, dass die Vertreter des ‘Staates’ von der Hoffnung auf das Gottesreich ausgeschlossen sein würden! Die innerliche Gesinnung ist für Augustin Hauptsache, einen hierarchischen Stufengang gibt er nicht; das Stufenmässige seiner Ethik offenbart sich vielmehr in

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seiner Theorie der Tugenden, wo er den virtutes der Unfrommen (Christen und Heiden), obwohl sie keine ‘verae virtutes’ sind ‘et ideo non virtutes sed vitia judicanda’104 und sogar der Teufelssünde der Superbia105 Gerechtigkeit widerfahren lässt. Gegenüber den Manichäern hat Augustin, das soll man nicht vergessen, die Ansicht vertreten, dass das Böse ein ‘Defekt am Guten’, ein ‘Mangel an Licht’106 ist; damit hat er Raum für alle möglichen Schattierungen gewonnen, indem doch keineswegs die propagandistische Verbreitung der ‘Pax Dei’ gehindert wird.

‘Die irdischen Betätigungen und Güter haben dem höchsten Gute der Gottesgemeinschaft gegenüber keinen Wert an sich. Wie Gott sie in wunderbarer Fülle geschaffen und dem Menschen gegeben hat, so darf dieser sich ihrer erfreuen, sofern und soweit er sie in den Dienst Gottes stellt und sich durch sie nicht von den Wegen Gottes ableiten lässt’107. Dieses Prinzip des augustinischen Gedankensystems ist für die politische und kriegerische Aktivität des Mittelalters besonders wichtig geworden; es ermöglicht einerseits das Eingreifen des christlichen ‘Staates’, andererseits den Krieg gegen die Teufelsgenossen, weil ja die irdischen Handlungen und Güter ihren Wert nur der Gesinnung entnehmen. Von Augustin stammt der ‘Krieg für Gottes Sache’, wie ihn Karl der Grosse und alle sächsischen Kaiser gegen die Heiden geführt haben108; sein Ursprung (die Vernichtung des Teuflischen) liegt in demselben Punkt wie der Ursprung des mittelalterlichen ‘Staats’begriffes: im relativen Wert des Irdischen.

Wie man sieht, ist ein moderner ‘Staat’ im augustinischen Denken nicht aufzufinden, ebensowenig wie eine ‘Kirche’ nach moderner Vorstellung. Es gibt also auch keine ‘staatlichen’ oder ‘kirchlichen’ Motive und Handlungen; aus dem relativen Wert der irdischen Güter und Betätigungen folgt, dass ihre Verwendung und Richtung in der irdischen Ecclesia besonders betont wird, dass eben dieses Prinzip der leitende Gedanke der mittelalterlichen Politik geworden ist. Das ergibt sich in fast physischer Tastbarkeit vielleicht am deutlichsten bei den späteren Verwicklungen zwischen Kaiser und Papst, in denen jede Partei ihre Ansprüche auf das ‘Pax’-

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monopol energisch erhebt, da diese Pax das ‘bellum justum’ fordert!109 Hier liegt kein Gegensatz, sondern ein tiefbegründeter Zusammenhang vor. Die Begriffe pax (discordia), justitia (iniquitas), oboedientia (inoboedientia) u.s.w. haben kerne modernen Äquivalente; sie waren dennoch Begrifte von politischer Brauchbarkeit und als solche hat man sie aufzufassen. Sie entsprechen gänzlich der Tatsache, dass die mittelalterliche Politik nicht ausserhalb der ‘Religion’, der christliche ‘Staat’ des Mittelalters nicht ausserhalb der Ecclesia zu denken ist.

Von den verschiedenen Abstufungen des Ecclesiabegriffs bei Augustin110, eng verbunden mit den oben angeführten Abstufungen des Begriffs der Civitas Dei, kommt hauptsächlich die Bezeichnung als ‘corpus permixtum’ für uns in Betracht. Die Ecclesia als die konkrete irdische Gemeinschaft aller (guten und bösen) Christen umfasst die weltlichen sowie die geistlichen Interessen der Menschen und ordnet nicht von vornherein das Weltliche dem Geistlichen unter; sie ist ja vor allem ein corpus permixtum, in der alle Frommen an dem Sacerdotium Christi Teil haben111. Regnum und Sacerdotium sind also in der Ecclesia vereint; Christus ist ihr Sacerdos und Rex. Es kann nicht im mindesten die Rede davon sein, dass Augustin selbst die Unterordnung des Staates dabei vorgeschrieben hat. Bernheim legt überzeugend dar, ‘dass Christi Herrschaft in der Ecclesia oder Civitas Dei Sacerdotium und Regnum einschliesst entsprechend so wie der Begriff “Ecclesia” in dieser Beziehung identisch mit dem der Civitas Dei, die ganze Gemeinschaft der Frommen einschliesst; ... eine Unterscheidung zwischen weltlicher und geistlicher Regierung ist dadurch nicht gegeben, geschweige denn ein Anspruch hierarchischer Art begründet’. ‘Diese Anschauung ist neutral sowohl gegenüber hierarchischer wie cäsaropapistischer Theorie; es kann jede von beiden daraus abgeleitet werden, und es kann auch die Theorie der Gleichordnung von Regnum und Sacerdotium im Regiment daraus abgeleitet werden. ...’112

Die Ordnung der civitas permixta konnte überhaupt für Augustin nur eine nebensächliche Bedeutung haben, weil sie

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nicht mehr als eine Vorbereitung ist zur himmlischen Ordnung; sie ist nur erforderlich, damit die Frommen schon in der Welt in Gott leben können. Eine zentrale Frage war die Einrichtung dieser Ordnung also anfänglich nicht. Sie ist es später geworden, als die Entwicklung der Gewalten in der Ecclesia wiederholte Zusammenstösse verursachte, als die praktischen Lebensgebiete immer dringender eine scharf bestimmte Formulierung der Befugnisse und Aufgaben forderten. Es sind aber nicht ursprünglich augustinische Elemente, folglich keine der mittelalterlichen Ecclesia-idee unabänderlich inhärenten Bestandteile, die sich in den Kämpfen zwischen Regnum und Sacerdotium geltend machten; auf der gemeinschaftlichen Basis der einen Idee haben sich Kaiser und Papst zum Anspruch auf die Oberherrschaft emporgearbeitet, einer durch die antiken und eschatologischen Traditionen unterstützt, der andere befestigt durch die ideelle Kraft eines politisch geschickt ausgenützten Glaubensprimates.

Man soll sich fortwährend vor Augen halten, dass der mittelalterliche ‘Staat’ seinen Schwerpunkt nicht in der Antithese Kaiser-Papst hat, sondern gerade in deren wesentlicher Einheit. Vielleicht mag das etwas unwahrscheinlich aussehen für eine Zeit, die schliesslich in den gewaltigen katastrophalen Ausbrüchen des Investiturkampfes gipfelt; dennoch ist diese Einheit eine Bedingung, ohne die der Konflikt zwischen Heinrich und Gregor nicht einmal denkbar ist. Auch Gregor VII. setzte das Regnum als eine Selbstverständlichkeit voraus; er hat nicht daran gedacht, es zu beseitigen; nur um Befugnisse und Abgrenzungen, an letzter Stelle um die Oberhoheit in der Ecclesia wurde der Kampf eingesetzt113. Man drückt sich richtig aus, wenn man sagt, dass nicht zwischen Kaiser und Papst, sondern zwischen kaiserlicher und päpstlicher Oberherrschaft ein Gegensatz entstanden ist. Auf dem Boden der. Einheit von Regnum und Sacerdotium musste ein modus vivendi gefunden werden, welcher die für dogmatische Absichten kaum in Frage kommende Verwaltung der Civitas Dei auf Erden an eine bestimmte praktische Form band. Die Entwicklung zu einer derartigen Form, welche vorübergehend dem Papsttum den Sieg zu versprechen schien, geschah all-

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mählich, abhängig von den praktischen Bedürfnissen, und erwies sich schliesslich wieder als ein Prozess, in dem beide Faktoren überwunden wurden. Wie das Papsttum seine Machtsphäre ausgebreitet hat, ist von Bernheim zum ersten Male mit Rücksicht auf die Proportionen des Ideellen und des Praktischen eingehend ausgeführt worden114. Es ist dabei nicht bloss an ein politisches Spiel mit den kirchlichen Verhältnissen zu denken, wie man es oft aufgefasst hat; ohne den geistlichen Einfluss des römischen Bischofs, abgeleitet aus den evangelischen Worten: ‘Tu es Petrus, et super hanc petram fundabo Ecclesiam meam ...’115, ‘Si amas me, pasce oves meas’116, ohne die Tastbarkeit des Petrusglaubens, ohne die erstaunliche ideelle Autorität der politisch noch nahezu bedeutungslosen ersten Päpste, ohne diese grundsätzlich a-politischen Elemente aus der Geschichte des Pontifikats, ist die praktische Evolution unerklärbar. Politisch verwendet war die päpstliche Taktik durchaus in den Zeitanschauungen verwurzelt. Dem Kaisertum gegenüber konnte der Papst sich immer auf seine historische Einsetzung durch Christus selbst berufen; bereits Gelasius (492-496) hat die Grenzen von Regnum und Sacerdotium zu Gunsten des letzteren festgestellt in seinem Brief an Kaiser Anastasius: ‘Duo quippe sunt, imperator auguste, quibus principaliter mundus hie regitur: auctoritas sacrata pontificum et regalis potestas. In quibus tanto gravius est pondus sacerdotum, quanto etiam pro ipsis regibus hominum in divino reddituri sunt examine rationem. Nosti enim, fili clementissime, quod licet praesideas humano generi dignitate, rerum tamen praesulibus divinarum devotus colla submittis atque ab eis causas tuae salutis exspectas, inque sumendis coelestibus sacramentis eisque ut competit disponendis subdi te debere cognoscis religionis ordine potius quam praeesse, itaque inter haec ex illorum te pendere judicio, non illos ad tuam velle redigi voluntatem’117. Die Forderung bleibt aber, wie hieraus ersichtlich ist, ein Machtproblem innerhalb des augustinischen Gedankenkreises; dass sie diesen Charakter immer beibehalten hat, wird sich sogar noch im Betragen Innocenz' III. nachweisen lassen118. Die päpstliche Konkurrenzpolitik war die Jahrhunderte hindurch gerichtet auf Mo-

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difikationen der Machtsphären in der Ecclesia, hat sich aber mit einer Beseitigung der kaiserlichen Macht qua talis nie beschäftigt. Was sie faktisch am En de bewirkt hat, ist eine zweite Frage, die nicht hierher gehört, weil sie für das Zeitalter Ottos III. nicht in Frage kommt.

Aus dem Vorgehenden resultiert ungefähr, in welcher Weise wir uns die Grundlagen der ottonischen Monarchie ihrer prinzipiellen Seite nach vorstellen. Wir dürfen diese Vorstellung in ihrer ganz allgemeinen Form als wahrscheinlich voraussetzen, weil sowohl das zeitlich vorangehende Stadium, die karolingische Monarchie, wie auch noch die folgende Periode des regen Konflikts, die Zeit Heinrichs IV. und Gregors VII., die beide die Aufmerksamheit mehr auf sich gezogen haben119, die Merkmale der augustinischen Auffassung über die Einheit von Regnum und Sacerdotium tragen. Ebenfalls ist es wahrscheinlich, dass wir die Versuche Ottos und Silvesters als ein Glied in der Kette der praktischen Ausgleichungsbestrebungen zwischen kaiserlicher und päpstlicher Macht zu betrachten haben. Inwiefern dabei von Phantasterei und träumerischer Veranlagung die Rede sein kann, wird später festzustellen sein; man ist aber unter Berücksichtigung der oben besprochenen Verhältnisse im mittelalterlichen Gedankenleben auf keinen Fall berechtigt, von diesen Phantastereien als Axiom auszugehen. Dafür bieten die ‘staatlichen’ und ‘kirchlichen’ Bestrebungen Ottos allzu bemerkenswerte und auffallende Ähnlichkeiten mit den weit verbreiteten Anschauungen Augustins. Jedenfalls kommt es darauf an, erst die zeitgenössischen Quellen in dieser Beziehung zu prüfen, damit man sich in betreff der Meinungen der aktiv beteiligten Persönlichkeiten und (soweit möglich) der scheinbar passiv sich verhaltenden Massen ein Urteil bilden kann. Daraus wird bereits erhellen, wie weit der Prozess am Ende des zehnten Jahrhunderts fortgeschritten war, wie die Zeitgenossen darauf reagierten120. -

Was den Quellen der letzten Hälfte des zehnten Jahrhunderts für unsere begrifflichen Bestimmungen eine einheitliche Form gibt, ist weniger der Kreis ihres Entstehens als ihre alle Kreise und lokalen Umstände übersteigende Homogenität

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des Ausdrucks. Der geschriebene Ausdruck ist die fixierte Abspiegelung einer Weltanschauung; mehr als die Absicht der Aufzeichnung, mehr als die begriffliche Bedeutung, verrät der Ausdruck an und für sich, in welchen Formen eine Zeit denkt, mit welchen Worten sie die Denkformen materialisiert. Wenn es schon der Berichterstattung einen eigentümlichen Stempel aufdrückt, dass durchweg nur die Geistlichkeit über die erforderlichen intellektuellen Kapazitäten zu verfügen hat, so genügt diese allgemein bekannte Tatsache doch nicht für eine Erklärung der Homogenität des Ausdrucks, der Stileinheit. Der Geistliche beschränkt sich ja nicht auf ‘geistliche’ Sachen; da die Bemühungen der Geistlichkeit die Grenzen der ‘Kirche’ weit überschreiten, sind auch ihre Betätigungen den verschiedensten Gebieten angehörig; ihre Aufgaben erstrecken sich über sämtliche Probleme, welche die Ecclesia stellt. Dass also der Klerus und besonders auch das Mönchtum die Geschichtsschreiber der Zeit liefert, ist höchtstens (in dieser Hinsicht) nur eine beiläufige Bemerkung, welche den gesellschaftlichen Bezirk der schreibenden Individuen einigermassen abgrenzt, nicht aber die Homogenität des sprachlichen Ausdrucks erklärt. Eine andere Gedankenbewusstheit als diese von der Geistlichkeit zum Ausdruck gebrachte, gab es ja überhaupt nicht. Auch die jeweilig auftauchenden Gegenströmungen, sowohl auf ökonomischem als auf politischem oder religiösem Gebiete121, zeigen dieselben Formen des Bewusstwerdens, verkleiden ihre Tendenzen unter dieselben Begriffe; sie weichen nur inhaltlich, nicht formal, von den offiziellen Strömungen ab. Wir dürfen sagen, dass die ‘Opposition’ während der Regierung Ottos III. keine einzige schriftliche Tradition zurückgelassen hat, die sich nicht dem Gesamtbild der Anschauungen fügt. Wahl zwischen Herrschaft und Opposition bedeutet hier Wahl zwischen zwei Gruppen, die beide das nämliche Prinzip zu repräsentieren und zu verteidigen glauben und verschiedene praktische Interessen sich nur mit einer Formel vergegenwärtigen können.

Die Schule Lamprechts arbeitet hier mit einer ‘Unfähigkeit zur Logik’ und Ohnmacht in der Individualitätsschilderung. Wir haben gesehen, dass diese Behauptungen sich in ihrer

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Allgemeinheit schwerlich aufrechterhalten lassen; individuelle Züge sind überall nachweisbar, das Schema wird nur benutzt und keineswegs ohne persönliche Umgestaltung übernommen122. Mehr als eine Erklärung ist die Typeneinteilung ein Hilfsmittel. Kleinpaul123 unterscheidet z.B. drei Haupttypen: König, Frau und Geistlicher. Er konstatiert dabei eine selbständige Stellung des Königsideals neben den beiden anderen Idealbildern. Der König kultiviert das Leben, indem der Heilige es ablehnt; er ist ‘das Positive zu dem negativen Bild des Geistlichen’. ‘In allen inneren Lebenstendenzen stehen sie sich nicht anders als blutwarmem Leben die Blässe des Todes, als farbenkräftigem Körper der Schatten gegenüber’124. Diese Absonderung des Königstypus lässt sich abet auch bei Kleinpaul wieder nicht durchführen, weil er eine ‘tiefgehende innere Gemeinschaft’ des Königs mit dem Geistlichen feststellen muss, nämlich in ihrem Verhältnis zur ‘Kirchen’125. In den Anschauungen der Quellen über Otto III. und Heinrich II. verfliesst diese Grenze sogar manchmal zu Gunsten des Heiligenideals; der König wird teilweise Heiliger, er wendet sich von dem ursprünglichen Heldenkönigsideal ab. Und in letzter Linie ist nach Kleinpaul die Triebfeder aller Charakteristik des zehnten Jahrhunderts die Frage, ‘wie man die Welt überwindet, um den Himmel zu erwerben’126.

Mit dieser Einteilung schlechthin kann man sich nicht zufriedengeben. Die Definierung des Königstypus bleibt schwebend und der tiefe Zusammenhang mit der ‘Kirche’ undeutlich. Das erklärt sich daraus, dass erstens der ‘Typus’ keine psychologisch haltbare Unterscheidung ist, und dass zweitens auch hier ‘Welt’ und ‘Himmel’ als absolute Gegensätze im frühmittelalterlichen Denken aufgefasst werden. Das ist durchaus unrichtig. ‘Die Welt überwinden’ bedeutet unserer vorhergehenden Darlegung nach für das Mittelalter ja nicht die Welt verschmähen, sondern, in der Sphäre des ‘Staatlichen’ die irdischen Güter im ‘himmlischen’ Sinne verwenden. Dass also der König das Leben nicht ablehnt und dennoch in engster Verbindung mit der ‘Kirche’ steht, ergibt sich aus den augustinischen Anschauungen als selbstverständlich, gleichfalls, dass die Grenzen zwischen König

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und Geistlichem eine erhebliche Verschiebung gestatten; vor allem haben sie beide Teil an der Verwaltung der Ecclesia, indem die Abgrenzung ihrer Pflichten und Befugnisse erst später in Frage kommt. In diesem Lichte ist deshalb der Typus nicht als ein Unfähigkeitszeugnis, sondern lediglich als der adäquate Ausdruck (nur psychologisch abweichend von dem unsrigen bedingt) des augustinischen Denkens zu betrachten. Er sagt genau dasjenige aus, was an der Persönlichkeit in ihrem Verhältnis zur damaligen Weltanschauung wichtig ist; und damit erfüllt er seine Aufgabe. Man muss jeden Gedanken an eine ‘Unfähigkeit’ in dieser Beziehung fallen lassen; sonst wird man dem Charakter der Quellen nicht gerecht. Die Bestimmung ‘Unfähigkeit’ ist eine Vergleichungsformel, die ihre Bedeutung haben kann bei einem Vergleich zwischen verschiedenen Gedankensystemen, nicht aber, wenn es gilt, die Wirkungssphäre bestimmter Ausdrücke innerhalb eines Gedankensystemes zu untersuchen. Die Terminologie dieses Jahrhunderts war gewiss nicht unfähig, den Bedürfnissen der Zeit entgegenzukommen; und darum nur handelt es sich in diesem Fall.

Der König ist aber jedenfalls nach den Anschauungen der Quellen ein sehr vitales Zentrum; vielleicht würde es sich empfehlen, gerade diese besondere Vitalität als das ‘Staatliche’ zu bezeichnen. Der Fürst spielt ja im mittelalterlichen Leben eine viel genauer zu bestimmende Rolle als Kleinpaul annimmt. Hier greift die merkwürdige Ideenverschmelzung ein, die das politische Urteil der Quellen fortwährend beherrscht hat: die Verschmelzung von augustinischen, pseudo-cyprianischen und eschatologisch-sibyllinischen Elementen, welche von Bernheim in seinem schon öfters angeführten Buch in sehr scharfsinniger Weise synthetisch gefasst worden sind127. Es ist dieser Synkretismus der Ideen, der die Meinungen der Zeitgenossen über den Fürsten, über die politischen Methoden und die politische Ethik hauptsächlich bedingt. Er entspricht völlig dem relativen Dualismus Augustins, wie dieser ihn in seinen ‘staatlichen’ Theorien durchgeführt hat. Dem Vertreter der Civitas Diaboli, dem Tyrannus (rex injustus, improbus, pessimus, iniquus)128 stellt er den

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Vertreter der Civitas Dei, den Imperator felix (rex justus)129, gegenüber; ihre Eigenschaften bilden die Grundlage der politischen Psychologie des Mittelalters; man findet sie wiederholt, manchmal buchstäblich, in den Charakterisierungen der Persönlichkeiten oder unauffälliger versteckt wieder. Es ist überflüssig in diesem Zusammenhang die dualistische Psychologie dieser augustinischen Gegensätze im allgemeinen eingehend zu erörtern, weil man eine solche Ausführung am angegebenen Orte bei Bernheim finden wird. Obendrein ist sie so eng verbunden mit der oben skizzierten Weltkonzeption Augustins, dass sowohl Imperator felix als Tyrannus als die unmittelbaren Vertreter der sich bekämpfenden Civitas Dei und Civitas Diaboli erscheinen.

Selbständig bearbeitet kehrt das Thema wieder in der Schrift De duodecim abusivis saeculi des Pseudo-Cyprianus,130 eins der meistgelesenen Bücher des Mittelalters, wie der Herausgeber Hellmann gezeigt hat. Vornehmlich die neunte ‘abusio’ hat einen kaum zu überschätzenden Einfluss ausgeübt; es ist die abusio des rex iniquus, der im Sinne Augustins hier geschildert wird als das Gegenstück des Imperator felix131, wenn auch die Form nicht unmittelbar der Civitas Dei entnommen worden ist. Das Lehrstück vom rex justus und rex iniquus lag bei Augustin schon vor; bei Pseudo-Cyprian wird die praktische Seite eingehend ausgebildet und so das Material herbeigeschafft, das nur noch politisch verarbeitet zu werden brauchte. Die Anklänge an die Praxis liegen dazu auf der Hand; dem König werden konkrete Aufgaben vorgehalten; durch deren Erfüllung widmet er sich der justitia; und der Gehalt dieser Aufgaben wird durch die metaphysische Grundlage befestigt. Man braucht sich also nicht darüber zu wundern, dass der Passus über den rex iniquus sich im Rahmen der augustinischen Weltanschauung und ihres politischen Wirkungskreises dauernd geltend gemacht hat.

Untrennbar von den augustinischen und pseudo-cyprianischen Elementen sind die eschatologisch-sibyllinischen Ideen. Wir kommen darauf später noch zurück; hier werden wir nur ihre Bedeutung für die Anschauungen der Quellen kennzeichnen132. Es ist bekannt, dass der Gegensatz zwischen eigent-

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lichen ‘Chiliasten’, die das tausendjährige Reich auf Erden am Ende der Geschichte erwarteten, und ‘Spiritualen’, die mit Augustin das Reich Christi seit den Anfängen der Kirche verwirklicht glaubten, sich in dem populären Chiliasmus mit begrifflicher Schärfe abzeichnet. Man muss sich vor Augen halten, ‘dass trotz der scharfen Ablehnung der chiliastischen Ansicht von Seiten der dogmatischen Autoritäten, Augustinus voran, sich doch, namentlich durch den Einfluss der christlichen Sibyllinen, wesentliche Momente jener Ansicht weiter erhalten haben und wieder aufgekommen sind. Die Fesselung Satans wird nicht unbedingt an den Beginn der christlichen Ära verlegt, man sieht sein offenes Wirken schon in den Ereignissen der Gegenwart, glaubt “das eiserne Zeitalter” gekommen und glaubt dessen Ablösung durch ein goldenes unter dem grossen Friedenskaiser mehr oder weniger schon eingeleitet oder unmittelbar bevorstehend, woraufdann die letzte Verfolgungszeit hereinbrechen soll, bis sich mit Christi Wiederkunft das Endgericht vollzieht’133.

Für die Interpretierung der Quellen ist besonders diese populäre Auffassung entscheidend. Was den Politiker (man kann das Wort beibehalten, wenn man keine modernen Vorstellungen damit verbindet), den praktischen Menschen vor allem lebhaft interessieren wird, gehört nicht dem spekulativen Gebiete der theologischen Streitfragen, sondern der Praxis der Alltagsverhältnisse an. Die Anwendbarkeit auf bestimmte Personen und Zustände, das Haupterfordernis einer praktisch brauchbaren Theologie, hat im Mittelalter Anlass gegeben zur Historisierung des Antichrist134 und des Friedenskaisers. Dadurch wurde der Kampf zwischen dem göttlichen und dem teuflischen Prinzip auf Erden fast plastisch vorstellbar gemacht; die Kontrastwirkung der aetas ferrea und aetas aurea verschaffte der Politik eine sichere Basis, worauf sie ihre Tätigkeit in der Welt stützen konnte. Damit hängt eng zusammen, dass die eisernen und goldenen Zeitalter immer wieder verschoben werden mussten, weil die gefürchtete oder gehoffte Erfüllung der Erwartungen nicht realisiert wurde135. Es erhellt daraus, wie zäh diese Erwartungen mit dem Leben verwachsen waren. Namentlich die sibyllinischen Prophezeiun-

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gen zeigen in dieser Hinsicht eine erstaunliche Elastizität136. Auf einer derartigen Ausgleichfähigkeit des praktischen Anpassungsvermögens beruht die Verschmelzung des augustinischen Tyrannusbegriffs mit dem Begriff des Antichrist, des Imperator felix (rex justus) mit dem Friedenskaiser137. Durch die Betonung des spezifisch Historischen, Persönlichen, Faktischen werden die ursprünglichen theoretischen Grenzen verwischt, wird das Ganze an verschiedenen Orten verschieden modifiziert, als begrifflicher Ausdruck dem praktischen Bedürfnis dienstbar gemacht; es erscheint als ein organischer Komplex.

Wir haben in den angeführten Elementen die Hauptzüge der damaligen Urteilsbildung zu erblicken. An dieser Tatsache ändert nichts, dass innerhalb dieser hier roh angegebenen Umrisse die Modifikationen sehr beträchtlich sind. Man drückt der Zeit keinen Stempel der Gleichförmigkeit auf, wenn man ihre Weltanschauung nach einem zentralen Gesichtspunkt zu ordnen versucht. Kurz zusammengefasst bedeutet der augustinische Dualismus mit den oben genannten Nebenerscheinungen, die sich mehr oder weniger untereinander assimilieren, für die Quellen die eigentliche Denknotwendigkeit im wahrsten Sinne, ohne die sie keine Person und kein Verhältnis mit Worten fassen können. Die Unterschiede der individuellen Meinungen und sozialen oder lokalen Kreise werden dadurch keineswegs aufgehoben (man denke nur an den Gegensatz zwischen ‘Frankreich’ und ‘Deutschland’, zwischen germanischer und römischer Tradition)138; sie werden nur eingereiht in den Gedankengang der Zeitgenossen, ihrem allgemeinen Weltaspekt untergeordnet.

Es lässt sich als Bestätigung dieser Ansicht kaum ein besseres Beispiel auffinden als Gerbert von Aurillac139, später Papst Silvester II., der Mitarbeiter Ottos III., in der Überlieferung ein mit der schwarzen Magie vertrauter Teufelskünstler140. Er ist der Typus eines überlegten Politikers und eines Kulturmenschen. Seine mathematische Begabung, seine dialektische Veranlagung, seine Disputationen mit dem gelehrten Othrik sind allgemein bekannt141. Er ist in der Reimser Konfliktzeit, wie seine Briefe zeigen, der leitende Kopf; Adelheid, Theopha-

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no, die französischen Könige, die Bischöfe von Trier und Lüttich, aber auch Cluniacenser und Bibliophilen befinden sich unter seinen Korrespondenten. Als Erzbischof von Reims und Ravenna, schliesslich als Papst Silvester II., hat er sich stets mit politischen und ökonomischen Angelegenheiten beschäftigen müssen142. Ihm am wenigsten wird man einen beschränkten Gesichtskreis zuschreiben können; und dennoch ist die Grundlage seiner praktischen Weltanschauung und seiner Politik durchaus augustinisch. Man hat das aber keineswegs konsequent in Betracht gezogen bei der Beurteilung seiner Gesinnung und seiner Gesten, obgleich gerade die augustinische Ausdrucksweise in den Briefen und den Synodenberichten sehr auffallend ist und die darin ausgesprochenen Meinungen sich nur mit Hilfe dieser Ausdrucksweise erklären lassen143. Die charakteristischen Attribute des dualistischen Denkens in Bezug auf die politische Praxis sind Gerbert sehr geläufig; der Zusammenstoss der himmlischen und teuflischen Mächte spielt sich auf dem Schauplatz der Politik ab. So bedeutet für ihn ‘tyrannus’ immer der Vertreter des Teufelsreiches144; mit seinem Auftreten verknüpfen sich Korruption und Unglück für die Welt und die Frommen, die er zu verführen sucht. Nicht nur als Fürst145, sondern auch im Kloster146 kommt er unter die Menschen. Er ist der ‘pervasor’147 und ‘Judas’148, ‘dolus et fraus’149 sind seine Hilfsmittel, ‘cupiditas’150, ‘invidia’151, ‘perturbatio’152 und ‘confusio’153 kennzeichnen seine Handlungen; und damit ist die Vielseitigkeit seiner ‘superbia’ nichts weniger als erschöpft. Das teuflische Prinzip wirkt überall in der Welt und stiftet das Unheil der ‘discordia’. Dem gegenüber haben die Kinder des Lichts und des ‘Friedens’ einen guten Streit zu führen; sie können guter Hoffnung sein. ‘Utantur suo tempore filii tenebrarum, filii Belihal. Nos filii lucis, filii pacis, qui spem in homine velut faenum arescente non ponimus, cum pacientia exspectemus illud prophetae: Vidi impium superexaltatum, et elevatum sicut cedros Libani, et transivi, et ecce non erat, et quaesivi eum, et non inventus locus ejus’154. Es ist die heilige Pflicht der Frommen, mit allen Mitteln die ‘pax’ auf Erden zu fördern. ‘Pax’ gebraucht Gerbert häufig im rein augu-

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stinischen Sinne155; d.h., bei ihm steht nicht der Begriff des ‘diplomatischen’ Friedens im Vordergrund, sondern die Möglichkeit einer Gemeinschaft der Gotteskinder. Er empfiehlt deshalb die ‘pax principum’ wegen der ‘pax aecclesiae Dei’: ‘Sicut epistola regii nominis ... continet, monemus, rogamus, obsecramus, ut exsequi curetis, cum pro vestra benevolentia circa nos, tum propter pacem aecclesiae Dei, pace principum proventuram’156. Und besonders deutlich adversativ heisst es ep. 190: ‘Procul ergo esto omnis fraus et dolus, pax et fraternitas huc adesto, ut qui alterum ledit, utrumque leserit’. Wenn aber der tyrannus sich zur ‘pax’ bekehrt, hat er sich damit vom Teufel abgewandt157.

Die ganze Terminologie Gerberts ist, wie die Beispiele zeigen, von diesem Geist durchdrungen. Lehrreich sind in dieser Hinsicht auch seine Acta Concilii Remensis ad Sanctum Basolum. Hier handelt es sich immer wieder um die schroffen Gegensätze von Gottesreich und Teufelsreich; sie gipfeln in der gewaltigen oratio des Bischofs Arnulf von Orléans gegen die damaligen Päpste158. ‘Nostrum, nostrum est hoc peccatum, nostra impietas qui quaerimus quae nostra sunt, non quae Jesu Christi. ... Antichristus est in templo Dei sedens, et se ostendens tamquam sit Deus’159. Er sieht eine ‘discessio ... non solummodo gentium, sed etiam ecclesiarum ... Quoniam cujus ministri Gallias occupaverunt, nosque totis viribus premunt, Antichristus instare videtur’160.

Es ist gänzlich verfehlt, derartige Ausdrücke als bloss metaphorisch gemeint aufzufassen. Wie buchstäblich ihre Absichten waren, ergibt sich aus den sibyllinischen Prophezeiungen, wo von denselben Ereignissen in derselben Weise gesprochen wird161. Und dass sie nicht versäumt haben werden, einen entscheidenden Einfluss auszuüben, ist wohl kaum zubezweifeln, wenn man weiss, dass sie hier in einer offiziellen Versammlung der französischen Bischöfe offiziell ausgesprochen werden.

Sehr interessant für die Ansichten Gerberts und seiner Zeit ist auch die bekannte ep. 28 ‘Ex Persona Iherusalem devastatae, Universali Aecclesiae’. Die Echtheit ist mit Unrecht angefochten worden162, weil man den Inhalt falsch ausgelegt hat. Jerusalem spricht dort zur allgemeinen Kirche ‘sceptris

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regnorum imperanti’(!): ‘Penes me prophetarum oracula, patriarcharum insignia, hinc clara mundi lumina apostoli prodierunt, hie Christi fidem (orbis terrarum) repperit, apud me redemptorem suum invenit. Etenim quamvis ubique sit divinitate, tamen hie humanitate natus, passus, sepultus, hinc ad caelos elevatus. Sed cum propheta dixerit: Erit sepulchrum ejus gloriosum, paganis sancta loca subvertentibus, temptat diabolus reddere inglorium. Enitere ergo, miles Christi, esto signifer et conpugnator etc.’ Gewiss war es ungereimt, in diesem Passus eine Anspielung auf einen Kreuzzug zu suchen, denn nirgendwo ist von einem militärischen Einschreiten die Rede. Ebensowenig kann ‘paganis sancta loca subvertentibus’ heidnische Gewalttaten betreffen163. Der ganze Brief erhält nur dann einen Sinn, wenn man die unmittelbar einschlagende Wirkung des Namens Jerusalem vor Augen hat. Jerusalem spielt bekanntlich eine grosse Rolle in den Prophezeiungen über den Antichrist. Der Friedensfürst Constans wird nach der tiburtinischen Sibylle, bevor er nach Jerusalem kommt, den Antichrist besiegen. ‘Hic erit filius perditionis et caput superbie, et magister erroris, plenitudo malicie, qui subvertet orbem et faciet prodigia et signa magna per falsas simulationes’164. ‘Et cum cessaverit imperium Romanum tunc revelabitur manifeste Antichristus et sedebit in domo Domini in Jerusalem165. Man beachte das ‘subvertet’, womit doch ausdrücklich gesagt wird, dass der Antichrist als Heuchler, ‘per falsas simulationes’, auftreten wird. Betreffs des Friedenskaisers sagt die Sibylle: ‘Qui vero crucem Iesu Christi non adoraverit gladio punietur, et cum completi fuerint centum et viginti anni, Iudei convertentur ad Dominum, et erit ab omnibus sepulcrum eius gloriosum166. Was in dem Briefe Gerberts auf das Grab Christi bezogen wird, bezieht die Sibylle auf die letzte Ruhestätte des Endkaisers; dennoch lokalisieren sie beide die Tätigkeit des diabolus in Jerusalem. Diese Tätigkeit, an sich wird als ein ‘subvertere’ betrachtet. ‘Paganis sancta loca subvertentibus’ ist also keine ‘exagération oratoire’, wie Havet will, sondern in diesem Sinne zu deuten, dass der Teufel (dessen Repräsentanten die Heiden sind) das heilige Grab inne hat, eine scheussliche Tatsache, mit der kein wahr-

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haft Gläubiger sich versöhnen darf. Offenbar hat schon bei Gerbert Jerusalem die Bedeutung eines doppelt aufgefassten geistigen Zentrums, wo nicht nur Christus gelitten hat, sondern auch der Teufel beständig im Nachteil der Christenheit tätig ist. Wie wir aus den Äusserungen Arnulfs von Orléans schliessen dürfen, hat man in diesen Kreisen an das baldige Auftreten des Antichrist geglaubt; aus diesem Brief ergibt sich, dass Gerbert, und mit ihm wohl die ‘universalis aecclesia’ in der Anwesenheit der pagani in Jerusalem ein warnendes Anzeichen gesehen hat.

Wenn wir schliesslich noch in Erinnerung bringen, dass Gerbert seine eigene seelische Umkehr als eine Befreiung von der teuflischen Macht beschreibt167, dann scheint die Behauptung nicht unbegründet zu sein, dass die eigentümliche dualistische Weltanschauung, die wir als ‘augustinisch’ zusammengefasst haben, auch das Denken dieses Weltmannes völlig beherrscht hat. Später wird dargelegt werden, wie diese Weltananschauung seine politischen Handlungen unmittelbar beeinflusst hat168; vorläufig genügt dieser Hinweis auf die Form des Ausdrucks, die sich dem Geistesleben der Zeit einfügt. Wenn auch Gerbert sich manchmal klassischer Äusserlichkeiten bedient169, wenn er auch als Mann der Wissenschaft einen rhetorischen Stil sucht170, so befreit der Mensch in ihm sich nicht von dieser Erbschaft seiner Epoche.

Wir haben die Briefe Gerberts einigermassen ausführlich behandelt, weil ihr augustinischer Charakter bisher ungenügend beachtet wurde. Man hat sich oft mit Gerberts Persönlichkeit beschäftigt und seinen Anteil an der Politik Ottos III. in günstigem oder ungünstigem Sinne feststellen wollen, ohne jedoch die Gesamtdisposition seiner Schriften näher zu untersuchen. Da konnte es nicht ausbleiben, dass einander widerstreitende Urteile entstanden, und dass man, in der Hoffnung, eine moderne Persönlichkeit mit modernen Eigenschaften (Treue, Untreue, Ehrlichkeit, Unehrlichkeit, u.s.w.) konstruieren zu können, nichts als widersprechende Charakterzüge übrig behielt, indem man den zeitbedingten Zusammenhang übersah171. Wir schicken aber voraus, dass man über die persönlichen Motive Gerberts durchweg im Unklaren bleiben wird,

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folglich ebenfalls über die Struktur seines intimen Seelenlebens; denn auch ein verhältnismässig reicher Nachlass wie diese Briefsammlung gibt, schon weil sie grösstenteils diplomatisch stilisiert wurde, nur wenige Einzelheiten aus dem Gebiete, in dem die dunklen Triebe in einen bewussten und formulierten Willensakt umgestaltet werden. Die Allgemeingültigkeit der augustinischen Anschauungen als Bedingung des mittelalterlichen Seelenlebens fordert nicht eine neue Persönlichkeitsschilderung; sie will nur die Bestimmung der kollektiven Ausdrucksform sein, ist also nur die Vorstufe zur Persönlichkeitsschilderung; das Individuelle kann erst dann annähernd umschrieben werden, wenn die Beschaffenheit des Kollektiven sich schon herausgestellt hat. Diese kollektive Beschaffenheit des Ausdrucks, diese Form des Bewusstwerdens ist im zehnten Jahrhundert ‘augustinisch’; dass von ihr sowohl der Diplomat Gerbert als, wie wir sehen werden, auch der Asket Brun von Querfurt erfasst wird, ist schon der Beweis, dass sie aus sehr verschiedenen Trieben hervorgeht und zu sehr verschiedenen Handlungen veranlassen kann. Im allgemeinen wird man die Komplexe dieser Triebe und Handlungen (‘Strömungen’) noch ausfindig machen können; das Individuelle aber lässt sich nur in den günstigsten Fällen durch einen nachträglichen Vergleich etwas schärfer abgrenzen172.

Gerbert von Aurillac gegenüber verhalten sich die übrigen Quellen173 in dieser Hinsicht weniger kompliziert. Ihr augustinischer Charakter versteckt sich in der Regel nicht unter der Oberfläche der scholastischen Bildung, wie es bei Gerbert häufig der Fall ist; er tritt meistens unmittelbar dramatisch hervor. Die Mehrzahl dieser Schriften und Urkunden hat neuerdings schon wieder die Aufmerksamkeit auf sich gezogen und eine Beurteilung nach diesem Gesichtspunkt erfahren174. Wir werden hier uns also auf eine knappe Zusammenfassung beschränken, weil wir Einzelheiten später gelegentlich anführen werden.

Thietmar von Merseburg175 vertritt in seinem Chronicon den augustinischen Dualismus vielleicht in seiner typischsten und durchsichtigsten Form. Man hat das dennoch früher

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übersehen können und seine eigentümliche Komposition einer ‘Unbehülflichkeit der Darstellung’ und ‘Leichtgläubigkeit’ zugeschrieben176. Auch Teuffel spricht noch mit Unrecht von einer ‘naiv-harmlosen Persönlichkeit’177, als ob man einem mit dem königlichen Hause verwandten Bischof und Geschichtsschreiber einfach harmlose Naivität vorwerfen könnte! Nach Teuffel ist er übrigens ‘ein guter Erzähler, aber kein Psychologe’178; eine Behauptung, die ebenfalls nur dann zutrifft, wenn man die heutige Psychologie als die einzigmögliche betrachtet. Denn im augustinischen Sinne ist Thietmar zweifellos ein Psychologe, der seinen Zweck konsequent verfolgt. Dieser Zweck hat freilich mit einer modernen Reichsgeschichte nichts zu tun; das Reich ist nicht der zentrale Punkt der Chronik Thietmars; es wird erwähnt, soweit der Autor es braucht als Mittel zum Zweck. Persönliche Erfahrungen, Träume, Visionen, Wundergeschichten und Naturereignisse sind hier durcheinander gemischt worden; nicht aber, wie man behauptet hat, ungeschickt und systemlos. Es ist ja vor allem Thietmars Absicht, die Zeit der letzten Ottonen, und teilweise auch Ottos I.179, als eine aetas ferrea zu schildern, weil er in Heinrich II. den erwarteten Friedenskaiser begrüsst. Otto II., der das Bistum Merseburg aufgehoben hat, kann deswegen keine Gnade bei ihm finden180. In Bezug auf Otto III. ist er unsicher; er würdigt seine fromme Veranlagung, sieht ihn aber offenbar als einen vom Teufel irregeführten Herrscher an, der den an Merseburg begangenen Fehltritt nicht gutzumachen vermag181. Wie plastisch sich Thietmar diese Verhältnisse vorstellt, ergibt sich aus den realistischen Formen seiner Träume und Visionen; der Heilige schreitet da wie ein irdischer Beschützer zu Gunsten seines Bistums ein, der Teufel, ‘insidiator noster callidus’ versucht durch unzählige Intrigen die Menschen dieses eisernen Zeitalters in seine Netze zu verstricken. Die Schlusskapitel des vierten Buches, das die Geschichte Ottos III. behandelt, geben sehr konsequent eine Übersicht der Tatsachen, welche mit dem Auftreten des Antichrist zusammenhängen. Eine Kluft zwischen dem Metaphysischen und dem Physischen existiert nicht; bei Thietmar ist die Kausalität ein unmittelbares Ein-

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greifen der göttlichen und teuflischen Mächte in den Naturprozess; die Bedeutung der Könige ist untrennbar von ihrer Stellung im eschatologischen Weltbild. Von grosser Bedeutung bleibt dabei immer Pseudo-Cyprians auf den rex iniquus bezüglicher Eigenschaftenkatalog, dem oft die Kriteria der Beurteilung entnommen werden.

Ähnlich wie Thietmar haben die Annalen, wenn sie auch den gegebenen Stoff nur annalistisch verarbeiten, ihren Zentralpunkt nicht in einer systematisch geplanten Reichsgeschichte, sondem in augustinisch-eschatologischen Ideenkreisen, die an lokale und dann und wann an mehr kosmopolitische Nachrichten angeknüpft werden; das Reich ist nur gelegentlich und fast immer nur soweit es sich mit dem lokalen Zentrum oder mit dem Annalisten wichtig erscheinenden Ereignissen berührt, Gegenstand der Geschichtserzählung. Sowohl bei den Quedlinburger182 als bei den Hildesheimer183 Annalen ist das leicht zu beobachten. Auch hier stehen Sommerhitze, Himmelserscheinungen, Slavenkriege. Viehseuchen und Monstra im Vordergrund, und das durchaus nicht nur aus naiv-anekdotischer Neugier. Alles Ungewöhnliche hat einen warnenden Sinn; es ist die aetas ferrea, die sich entsprechend in den Naturvorgängen offenbart. Die Annales Quedlinburgenses nehmen die Lösung Satans von seinen Banden innerhalb der ganzen Zeit nach dem Jahre 1000 an184. So zeichnet sich die Regierung Ottos III. durch Katastrophen jeder Art aus; in dem Verrat des Crescentius185, in den Absichten des Thronprätendenten Heinrich186 wirkt Satan. Besonders heftig wird mit den Slaven verfahren; sie sind die Teufelskinder im wahrsten Sinne, auf sie ist Pseudo-Cyprians ‘impios de terra perdere’ anwendbar; ‘mittam super eos tria judicia pessima, pestem, gladium et famem’187. Der Annalist spricht von ihrer ‘innata perfidia’188. Augustins Auffassung vom christlichen Kriege wird hier rücksichtslos zur Geltung gebracht; die unbedingt notwendige Energie der Slavenpolitik und der Slavenkriege findet ihre geistige Rechtfertigung in einer Anschauung, deren Härte zu den schroffen Konflikten an der Ostgrenze vorzüglich passte.

Thietmar und die Annalisten zeigen also sehr auffallend

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eschatologische Einflüsse und sie betrachten deshalb, wie wir sehen werden189, Otto III. als einen rex iniquus. Die Konsequenzen dieser Auffassung für die praktische Politik sind wichtiger, als man anzunehmen pflegt.

Aber auch die nüchterne Denkart eines jeder Spekulation abgeneigten, wissenschaftlich veranlagten Mannes wie Richer190, des Reimser Historikers, ist als augustinisch zu bezeichnen. Dass in den kulturellen Kreisen des gewiss nicht tief religiös empfindenden Reims ‘augustinisch’ keineswegs ein blosses Schlagwort ist, geht wohl aus Richers Ansichten über die zwei Mächte im zweiten Buch hervor191. Es ist die ‘cupiditas’ die Heinrich von Bayern und Arnulf von Reims verführt192. Für seine Partei, die karolingische, fordert er nachdrücklich göttliche Hilfe; astrologische Erscheinungen kombiniert er mit supranaturalistischer Motivierung193. Freilich hat Richer kein besonderes Interesse für dergleichen Angelegenheiten und er widmet sich vorzugsweise medizinischen Diagnosen oder umständlichen Auseinandersetzungen über den Krieg.

Über die religiöse Literatur im engeren Sinne194 können wir uns an dieser Stelle kurz fassen; ihr Verhältnis zur Welt und zur Politik wird im vierten Kapitel näher untersucht werden. Dass aber ein Johannes Canaparius195, ein Brun von Querfurt196, oder gar ein Odilo von Cluny197 in ihrer Beurteilung ‘staatlicher’ Handlungen auf den augustinischen Anschauungen fussen, ist nicht fraglich. Die Cluniacenser sowie die italienische Askese verhalten sich dem König und seinen Betätigungen gegenüber nicht prinzipiell feindlich198. Es handelt hier sich immer nur um Abstufungen und Modifikationen. Auch die von Zoepf nachgewiesenen Auffassungsunterschiede sind in dieser Hinsicht nicht von wesentlicher Bedeutung199. Der Vergleich zwischen den beiden Adalbertviten von Canaparius und Brun beweist das überzeugend. Canaparius ist in seiner Darstellungsweise idealisierend und trocken; die Übersinnlichkeit des Wunders ist realistisch; Brun dagegen belebt seine Erzählung durch individuelle Züge und stilisiert verschwenderisch, indem er über das Wunder nachdrücklich sagt, dass es den Heiligen zeigt, aber nicht macht200. Dennoch ist auch Brun in seinem Urteil über die

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Ottonen ganz durch die Zeitanschauungen gebunden, wie sich aus seinen Charakteristiken Ottos II.201 und Ottos III.202 ergibt.

Weil die Viten ihren Zentralpunkt meistens in der Persönlichkeit des Heiligen haben, wird der Autor nur einem sehr beschränkten Ausschnitt der Welt, in der er lebt, gerecht. Die allgemeinen Probleme der politischen Lage treten deshalb nicht klar hervor, wie es z.B. bei Thietmar der Fall ist, der in einer scheinbaren Unordnung die Situation, wie er sie sieht, sehr deutlich zu schildern imstande ist.

Die Urkunden und einzelnen Bruchstücke wie z.B. der ‘Modus Ottincianus’ behandeln wir unten. Indem die Vita sich der Personenbeschreibung widmet und dadurch die Verhältnisse manchmal zu Gunsten des Individuums modifiziert, ist die Urkunde ein Produkt der direkten und, soweit möglich und die Konvention der Kanzlei es fordert, Persönliches assimilierenden Praxis. Diese Praxis ist in der Ottonenzeit einfach und enthält sich spezifisch augustinischer Wendungen; das augustinische ‘pacificus’ Karls des Grossen hat auch Otto I. nach seiner Kaiserkrönung nicht wieder aufgenommen203. Erst in der Zeit Heinrichs III. und Heinrichs IV. kommt die augustinische Formel wieder auf, wenn auch schon Otto III. den ersten Anstoss aegeben hat204. Häufig findet man aber in den Arengen Anspielungen auf die göttliche Einsetzung und die Mission der christlichen Obrigkeit205; als erste Pflicht des Königs wird die Beschützung der Kirchen und ihrer Diener genannt206. Diese Forderung entspricht gänzlich der üblichen Vorstellung vorn christlichen Regiment. -

In diesem Überblick des Quellenmaterials wurde eine Begründung der Homogenität des Ausdrucks gesucht. Wir wollen noch einmal feststellen, dass wir die Bezeichnung ‘augustinisch’ nicht als eine Art Panazee betrachten. Wir geben damit nur die kollektiven Grenzen einer Lebensanschauung an, wie wir sie empfinden. Eine solche kollektive Abgrenzung empfiehlt sich um so mehr, da die zeitliche Entfernung die individuellen Unterschiede zurückdrängt, und sich nur dann eine Einsicht in die Lebensverhältnisse gewinnen lässt. wenn

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man die nicht zu überschreitenden allgemeingültigen Symbole kennen gelernt hat. Für das romanische Mittelalter erweist sich dann als Hauptsymbol der Gegensatz der göttlichen und teuflischen Mächte und ihre relative Versöhnung im christlichen ‘Staat’. Es ist dieser Gegensatz, der dem frühmittelalterlichen Menschen seine begrifflichen Grundstoffe, aber auch die moralische Basis seines Alltagslebens verschafft; es ist der fundamentale Gedanke von ‘pax’ und ‘justitia’, der die theoretische Scheidung zwischen ursprünglich-augustinischen und eschatologisch-sibyllinischen Ideengruppen praktisch überbrückt. Wie verschieden die Quellen sich orientieren mögen, wie verschieden ihre Affektbetonung sein mag, sie sind sich alle darin einig, dass das irdische Leben fortwährend dem Wirken des Satans ausgesetzt ist. Der Grad dieses Pessimismus ist eine Sache der Gruppen und Individuen; man würde Gerbert, Thietmar und Brun von Querfurt als die Vertreter des diplomatischen, des populär-eschatologischen und des asketischen Pessimismus bezeichnen können207. Dass man sie ohne oberflächliches Generalisieren als ‘augustinisch’ zusammenfassen darf, hat seinen Grund in der unerschöpflichen Rezeptivität der augustinischen Hauptgedanken, durch die einerseits eine für die Lebenspraxis erforderliche Verschmelzung und Vereinfachung ermöglicht, andererseits und daneben immer wieder den Spannungsbedürfnissen der Individuen Spielraum gelassen wurde.

 

Aus den oben entwickelten allgemeinen Theorien über das Wesen der mittelalterlichen Ecclesia einschliesslich ihrer weltlichen Betätigung, und aus der Quellenübersicht ergibt sich jetzt, an welche Ideen die universalistischen Pläne Ottos III. und Silvesters II. angeknüpft haben. Es hat sich immer deutlicher herausgestellt, dass nur eine leichtfertige Analogie mit modernen Zuständen dazu führen kann, diese Pläne von vornherein als bloss phantastische Ausschweifungen aufzufassen. Erstens ist offenbar die von Kaiser und Papst erstrebte Einheit von Regnum und Sacerdotium nichts weniger als eine persönliche Fiktion gewesen, sondern vielmehr als das normale Ergebnis der karolingischen und ottonischen Politik

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anzusehen; zweitens ist das Urteil der Quellen über die Absichten Ottos nicht unmittelbar als ein durch heutige Motive begründetes Urteil zu verwenden, sondern man hat ihren augustinischen und eschatologischen Voraussetzungen Rechnung zu tragen. Wenn man diese Bedingungen nicht beachtet, läuft man Gefahr, eine jener Zeit nicht gemässe Würdigung der kaiserlich-päpstlichen Einheit und der zeitgenössischen Meinungen zu geben.

Die Bezeichnung ‘Weltherrschaft’ für das Projekt Ottos III. ist zweideutig. Die Vorstellung, die man bei Wilmans und Giesebrecht findet, ist durchaus falsch; denn die ‘Herstellung des Römerreichs im Abendlande’208 war keine Wahnidee, sondern ein politisch scharf definierbarer Begriff, dem man eigentlich mit Unrecht die etwas verschwommene Bezeichnung Weltherrschaft beilegt. Diese Herrschaft beschränkt sich ja, wie das Programm in der Einleitung zum Libellus de rationali et ratione uti erweist, auf das westliche und südliche Europa (‘dant vires ferax frugum Italia, ferax militum Gallia et Germania, nec Scithae desunt nobis fortissima regna’209), und aufeine positive Byzanzpolitik210. Vorerst haben wir es hier also mit einem Programm zu tun, dessen Verwirklichung in dieser Zeit noch keineswegs undenkbar war. Aber ausserdem war dieser Entwurf nicht einmal der irreale Traum zweier phantastisch veranlagten Männer, sondern, wie wir zeigen werden, das konkrete Ziel einer politisch gebildeten Gruppe, die sich mit unfruchtbaren Träumereien gewiss nicht befasst hat. Sie vertritt eine ausgeprägte politische Richtung, die nach der Katastrophe des karolingischen Weltreiches mit Otto I. wieder einsetzt und die Zeit Ottos III. noch weit überdauert hat. Nur finden wir in der selbständigen Zeit des jungen Kaisers eine so hochgespannte Aktivität dieser Richtung, wie sie nie wieder zurückgekehrt ist. Es ist aber eine gänzlich in nationalstaatliche Gedanken gebannte Gesinnung gewesen, die sie einseitig einem schwärmenden Romantiker zugedichtet hat; wie man sich das Verhältnis eines derartigen weltentrückten Kaisers zu seiner Umgebung, zur Kanzleipraxis, zu einem überlegten Mitarbeiter wie Silvester II. denken sollte, wurde der Phantasie überlassen. Auch in manchen

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neueren Schriften, die sich vom Romantismus Giesebrechts losgesagt haben, bleibt dieses Verhältnis unklar211. Die Figur Ottos wird häufig ohne Grund von seinen Mitarbeitern isoliert, seine Stellungnahme zur Politik und zugleich zur Askese als der seelische Konflikt eines überspannten Psychopathen dargestellt. Wir sind weit entfernt, eine psychopathische Disposition des Kaisers überhaupt zu leugnen, finden aber ebensowenig einen direkten Anlass, diese Veranlagung, die vorläufig problematisch ist, ohne weiteres für sein politisches und soziales Bemühen verantwortlich zu machen. Seine Ideen (soweit sie ihm persönlich zukommen) über das Verhältnis von ‘Staat’ und ‘Kirche’, seine geplanten Beziehungen zu Byzanz, sogar seine asketischen Neigungen zeichnen sich ihrem Gehalt nach kaum gegen die Zeitanschauungen ab; und nur eine ausserordentliche Rücksichtslosigkeit, eine stürmische Hingabe, ein massloses Wollen verleihen seinem Auftreten, durch einen unzeitigen Tod jäh abgebrochen, eine oberflächliche Ähnlichkeit mit Abenteurern wie Arnold von Brescia oder Cola Rienzi. Dennoch ist Otto nichts weniger als ein Abenteurer gewesen und vieles, was er gewollt hat, haben seine Nachfolger wieder aufgenommen und in einem weniger grossen Stil zu erreichen versucht.

Selbstverständlich hat man schon längst die ‘theokratische’ Beschaffenheit des ottonischen Kaisertums anerkannt. Merkwürdigerweise aber beeinflusste das nur sehr beiläufig die Meinung, die man sich über die Politik der Ottonen bildete. Naturalwirtschaft, Lehnswesen, Expansion nach dem slavischen Osten und dem italienischen Süden waren die Probleme, an deren erfolgter oder nicht erfolgter Lösung man sich die Grundlagen des damaligen Reiches klar machen wollte: freilich gestand man, dass daneben ideelle Faktoren existierten, ohne jedoch ihre die Kirchengeschichte weit überschreitende Bedeutung würdigen zu wollen. Das macht sich in fast allen Schriften der deutschen Historiker, die sich mit diesem Zeitalter beschäftigen, Bernheim ausgenommen, bemerkbar. Es ist ein unausgesprochener, aber prinzipieller Widersinn ge-

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gen den eigenen Wert des Ideellen als geschichtlicher Triebkraft. Positivismus und historischer Materialismus wirken hier zweifellos nach; man scheut das Ideelle, weil man hier das Nicht-historische oder Über-historische zu berühren glaubt. Und dennoch ist die ottonische Politik ohne diese ideellen, nicht unmittelbar aus praktischen Bedürfnissen herzuleitenden Faktoren undenkbar und unerklärlich. Das nämliche Ferment, das die Weltanschauung der Quellen überall durchdringt und ihre Position gegenüber Regnum und Sacerdotium bestimmt, hat auch in der Politik der deutschen Kaiser gewirkt, ist auch der geistige Inhalt ihres Strebens gewesen. Dieser Inhalt mag uns fern stehen oder nicht: er ist eben der Inhalt, auf den wir Rücksicht zu nehmen haben.

Den Vorwurf, damit werde eine unbekannte, unexakte Grösse eingeführt, wollen wir im voraus ablehnen. Wir behaupten im Gegenteil, dass die Geschichtsschreibung, für die diese psychologischen Bedingungen nicht in Anschlag kommen, sich einer unbekannten Grösse bedient. Unter Hinweis auf Anm. II, 31 stellen wir hier noch einmal fest, dass die ‘augustinische’ Weltanschauung sich weder auf den Charakter der Individuen, noch auf die gehobene Religiosität des Mittelalters bezieht. Sie bedeutet noch weniger eine Unterschätzung der ökonomischen und sonstigen praktischen Verhältnisse. Sie bedeutet nur, dass der frühmittelalterliche Mensch sein Weltbild elementar anders zusammensetzt. Wenn schon die Differenz zwischen der naturalwirtschaftlichen und der modernen Organisation der Gesellschaft verschiedene psychische Organisationen fordert, so ist damit die Form dieser psychischen Organisationen noch nicht gegeben. Der formale Unterschied eröffnet sich erst bei einem Vergleich zwischen dem Weltbild der Quellen und unseren Weltsynthesen. Es lässt sich empirisch nachweisen, dass, obschon die natürlichen, ‘biologischen’ Elemente (Krieg, Bedürfnis, Expansion u.s.w.) mit den unsrigen selbstverständlich übereinstimmen, die Zusammensetzung dieser Elemente an eine andere Form gebunden ist; diese andere Form ist das Symbol eines anderen psychischen Reagierens auf die Natur. Man muss also damit anfangen, die Form möglichst genau zu umschreiben; eine derartige Um-

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schreibung haben wir oben versucht und die Form als ‘augustinisch’ bezeichnet. Folglich schliessen wir aus der ‘augustinischen’ Form auf ein ‘augustinisches’ Reagieren, auf eine ‘augustinische’ Zwecksetzung des damaligen Lebens, die also auch den politischen Zweck umfasst. Mehr als umschreiben kann man nicht; aber schon die Möglichkeit einer Umschreibung der ‘augustinischen’ Lebensanschauung beweist, dass die besondere Form des psychischen Reagierens primär ist.

Wir halten diese Ausführung für nötig, damit man sich vergegenwärtige, welchen Anteil die ‘Phantasie’ am Konzept Ottos III. hat. Es ist eine Eigenschaft der Politik im allgemeinen (nicht nur also einer Politik, die man als ‘phantastisch’ zu qualifizieren pflegt), dass ihre Richtlinien sich den aktiv an ihr beteiliqten Individuen entziehen. Auch für den ‘Realpolitiker’ trifft das zu, weil er sich niemals der Vorbedingungen und Konsequenzen seiner Taten bewusst sein kann; denn was er überblickt, ist eben nur die nahe Vergangenheit und nahe Zukunft. Erst später wird aus den Werturteilen, welche die Menschheit über ihn abgibt, hervorgehen, welche ‘Werte’ er vertreten hat. Demnach greift auch das sehr konkrete politische Ziel weit über die Grenzen des Konkreten hinaus, ist in diesem Sinne gewissermassen immer ‘phantastisch’, weil jedes Projekt teilweise an der Praxis scheitern muss. Der Sprachgebrauch aber empfiehlt eine Beschränkung des Wortes ‘phantastisch’ auf die Feststellung eines hyperindividuellen Benehmens der Kollektivität gegenüber. Diese beiden Fälle hat man scharf auseinanderzuhalten212. Die ottonische Politik hat, wie wir darzulegen haben, Ziele verfolgt, welche den Zeitgenossen sehr konkret, wenn auch manchmal tadelnswert erschienen sind. Selbstverständlich können wir jetzt konstatieren, dass sie dabei über sich. selbst hinausgegriffen hat; aber wir müssen zugleich untersuchen, inwiefern diese Ziele geistiges Gemeingut gewesen sind und wir dürfen das Phantastische des einzelnen Individuums nur nach dem Grade dieser Konkretheit abmessen. Praktisch heisst das in diesem Zusammenhang, die Kontinuität in der deutschen Reichspolitik mit der Politik Ottos III. zu vergleichen und die Basis der ottonischen Staatsidee ihrem

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sachlichen Gehalt nach zu verstehen suchen. Nur so werden Phantasie als allgemeine schöpferische Triebkraft und Phantasie als individuelles Verhalten definitiv geschieden.

90Geschichte und System der mittelalterlichen Weltanschauung2 (Stuttgart 1913), S. 323.
91Mittelalt. Zeitansch., S. 145.
92Der katholische Forscher Lux (Papst Sylvesters II. Einfluss auf die Politik Kaiser Ottos III., Breslau 1898; Vorwort) sieht Otto und Sylvester als Männer, ‘welche in Wahrheit bestrebt waren, Staat und Kirche in Eintracht zu regieren’. Ein Verdienst ist das weniger als eine (theoretische) Selbstverständlichkeit.
93Historiarum Lib. IV (ed. Waitz. Hannover 1877).
94Vgl. Acta Concilii Remensis ad Sanctum Basolum (SS. III, S. 658 ff.; Olleris, Oeuvres de Gerbert, Clermont Ferrand und Paris 1867, S. 173 ff.)
95Leonis Abbatis et Legati Epistola ad Hugonem et Robertum reges (SS. III, S. 686; Olleris, l.c., S. 237 ff.).
96Mittelalt. Zeitansch., S. 113.
97Über diese Entwicklung besonders Bernheim, l.c., S. 110 ff., (Kap. III. Die Anschauungen über das Verhältnis von Regnum und Sacerdotium).
98Bernheim, l.c., S. 15.
99Bernheim, l.c., S. 21.
100De Civ. Dei XV, 2: (ed. B. Dombart, Lipsiae 1905, '08) ‘Invenimus ergo in terrena civitate duas formas, unam suam praesentiam demonstrantem, alteram coelesti civitati significandae sua praesentia servientem.’ XIV, 28: ‘Fecerunt itaque civitates duas amores duo: terrenam scilicet amor sui usque ad contemptum Dei, coelestem vero amor Dei usque ad contemptum sui ...’ XV, 1: ‘Quas etiam mystice appellamus civitates duas, hoc est societates hominum quarum est una quae praedistinata est in aeternum regnare cum Deo, altera aeternum supplicium subire cum Diabolo.’
101De Civ. Dei XI, 1: ‘ ... Meique non immemor debiti, de duarum Civitatum, terrenae scilicet et coelestis, quas in hoc interim saeculo perplexas quodam modo diximus invicemque permixtas, exortu ... disputare.’ Vgl. Bernheim, l.c. S. 21, Anm. 3, gegen Eucken und Reuter.
102Vgl. unten S. 433.
103Bernheim, l.c., S. 22 ff.
104De Civ. Dei XIX, 25.
105De Civ. Dei XIX, 13: ‘Quapropter natura est, in qua nullum malum est vel etiam in qua nullum potest esse malum; esse autem natura, in qua nullum bonum est, non potest. Proinde nec ipsius Diaboli natura, in quantum natura est, malum est, sed perversitas eam malam facit.’
106Bernheim, l.c., S. 26.
107Bernheim, l.c., S. 27.
108Vgl. H. Lubenow, Die Slavenkriege der Ottonen und Salier in den Anschauungen ihrer Zeit (Diss. Greifswald 1919).
109De Civ. Dei XIX, 16: ‘Si quis autem in domo per inoboedientiam domesticae pacis adversatur, corripitur seu verbo seu verbere seu quolibet alio genere poenae justo atque licito ... pro ejus qui corripitur utilitate, ut paci unde dissiluerat coaptetur.’ Die ‘innere ungestörte Einheit mit Gott’ (Bernheim, l.c., S. 32) bedingt den Paxbegriff, nicht der ‘Frieden’.
110Darüber Bernheim l.c., S. 113 ff.
111De Civ. Dei XX 10: ‘ ... sed sicut omnes Christianos dicimus propter mysticum chrisma sic omnes sacerdotes quoniam membra sunt unius sacerdotis.’ (Vgl. I Kor. 10, 12).
112Bernheim l.c., S. 118.
113Bernheim l.c., S. 219.
114l.c., Kap. III.
115Matth. XVI, 18.
116Joh. XXI, 17.
117Epistolae Romanorum Pontificum genuinae (ed. A. Thiel), Braunsberg 1868, S. 350.
118Bernheim l.c., S. 221; Joh. Fiebach, Die augustinischen Anschauungen Papst Innocenz' III. (Diss. Greifswald 1914).
119Literatur passim bei Bernheim l.c. Über die Periode Ottos III. ist in dieser Hinsicht wenig Systematisches zu finden, weil die im Kap. I kritisierten Anachronismen meistens für das Urteil entscheidend waren oder wenigstens die Einheit von Regnum und Sacerdotium nicht angenommen wurde. Vgl. G. Bagemihl, Otto II. und seine Zeit im Lichte mittelalterlicher Geschichtsauffassung (Diss. Greifswald 1913).
120Im allgemeinen stimmen wir, wie man oben gesehen hat, den Anschauungen Bernheims über die augustinische Staatsidee und ihre praktische Verwirklichung im mittelalterlichen Staatsleben völlig bei. Dass dieser Autor den geschichtlichen Wert des nicht unmittelbar materiell bedingten Gedankenkomplexes in seinem ganzen Umfang hervorzuheben wagt, ist gerade in diesem Zusammenhang sehr erfreulich. Besonders ist dabei hinzuweisen auf seine prinzipiellen Feststellungen, die in glücklicher Weise bestrebt sind, den ideellen Wert der Anschauungen mit den praktischen Problemen der Politik zu versöhnen. Lamprechts einseitiger Kollektivismus lässt sich dadurch vertiefen, seine ‘Typik’ durch Bernheims Erörterungen hinsichtlich des ‘augustinischen’ Denkens und dessen politischen und sozialen Konsequenzen einer psychologischen Erklärung zugänglich machen. Wir wollen dazu nur folgendes bemerken, das für diese Untersuchung nicht unwichtig ist und später noch in Betracht kommen wird. L.c., S. 129 sagt Bernheim über die ‘drastische Unmittelbarkeit’ des Petrusglaubens, die man meistens unzureichend gewürdigt hat: ‘Einzelne Fälle solcher Glaubensäusserungen, auf die man gerade stiess, hat man geradezu als Phrasen oder als persönliche Verstiegenheit dieses oder jenes Papstes betrachtet, ohne die Allgemeinheit dieses Glaubens durch alle Jahrhunderte zu bemerken. Oder sollten etwa die Päpste die Einzigen gewesen sein, die sich von diesem Glauben ausgeschlossen hätten?! ...’ Und S. 165: ‘Mit welchem Rechte spricht man diesen Männern (den Päpsten), dieser ganzen Zeitanschauung, die Wahrhaftigkeit der Überzeugung ab? namentlich wenn es sich, wie in dem Fall, von dem wir reden, nicht um die Vertretung eines persönlichen Interesses und Meinens, sondern um die Vertretung einer Mission handelt. ...’ In dergleichen Äusserungen steckt die Gefahr einer Idealisierung der Zeitverhältnisse, einer psychologischen Flachheit. Die Tastbarkeit der augustinischen und verwandten Anschauungen braucht nicht bezweifelt zu werden; an und für sich sagt diese aber noch nichts aus über die aufrichtige Überzeugung der leitenden Individuen, nur über die Fruchtbarkeit der Idee, über ihre allgemeine Gültigkeit für die rezeptive, reagierende Kollektivität gibt sie Aufschluss. Ohne weitere psychologische Einzelheiten als Supplement (die häufig fehlen) muss man dahingestellt sein lassen, inwiefern die Individuen die Gedanken nur als politisches Mittel ausgenützt haben, inwiefern sie selbst daran glaubten. Dass Bernheim ein anachronistisches Misstrauen gegen die Motive der Päpste abweist, ist durchaus richtig; es folgt daraus aber lediglich dies, dass keine heutigen Machtbestrebungen im Spiel waren. Allein was ‘wahrhaftige Überzeugung’, was blosser Gebrauch von Durchschnittsüberzeugungen war, wird sich schwerlich und nur in Einzelfällen enträtseln lassen. Die Verwickeltheit eines individuellen Motives ist jedenfalls so gross, dass man nur umsichtig und unter allem Vorbehalt aus der gesellschaftlichen Brauchbarkeit und Selbstverständlichkeit eines Gedankens Folgerungen in Bezug auf seinen Wert zur Deutung der Überzeugung eines Individuums ziehen darf. Vgl. unten Kap. IV.
121Man vergleiche als Beispiele den sog. Partikularismus der Stämme (dazu Kehr l.c. in Hist. Zeitschr., S. 433) oder die ‘national-kirchlichen’ Bestrebungen der französischen Bischöfe. Sie vertreten kein System, erscheinen als bloss momentane, durch praktische Reibungen hervorgerufene Explosionen. Jede systematische Kontinuität fehlt z.B. auf der Seite des Prätendenten Heinrich in den Thronstreitigkeiten nach dem Tode Ottos II. (Giesebrecht l.c., S. 609 ff.).
122Vgl. oben Kap. I, S. 416 ff.
123l.c., S. 15 ff. Vgl. oben S. 415.
124l.c., S. 29.
125l.c. ibid.
126l.c., S. 32.
127l.c., S. 46 ff.; Kap. I, 2 (Fortpflanzung der augustinischen Anschauungen), S. 50 ff.; Kap. II; Die eschatologischen Anschauungen, S. 63 ff.
128De Civ. Dei V, 19: ‘sed ne tyranni non pessimi atque improbi reges, sed vetere nomine fortes existimentur ... apertissime alio loco de Deo dictum est: Quia regnare facit hominem hypocritam propter perversitatem populi.’
129De Civ. Dei V, 24: ‘Sed felices eos (imperatores) dicimus si juste imperant etc., si Deum timent, diligunt, colunt, si plus amant illud regnum, ubi non timent habere consortes etc..’
130Pseudo-Cyprianus, De XII abusivis saeculi, ed. S. Hellmann (Leipzig 1909). Über den Einfluss der Schrift die Vorrede, S. 16 ff. Dazu Bernheim l.c., S. 57 ff. Entstanden zwischen 630 und 700, aller Wahrscheinlichkeit nach in Irland.
131Hellmann, l.c., S. 62: ‘Iustitia vero regis est, neminem iniuste per potentiam opprimere, sine acceptione personarum inter virum et proximum suum iudicare, advenis et pupillis et viduis defensorem esse, furta cohibere, adulteria punire, iniquos non exaltare, impudicos et striones non nutrire, impios de terra perdere, parricidas et periurantes vivere non sinere, ecclesias defendere, pauperes elemosynis alere, iustos super regni negotia constituere, senes et sapientes et sobrios consiliarios habere, magorum et hariolorum et pythonissarum superstitionibus non intendere, iracundiam differre, patriam fortiter et iuste contra adversarios defendere, per omnia in Deo confidere, prosperitatibus animum non levare, cuncta adversaria patienter ferre, fidem catholicam in Deum habere, filios suos non sinere impie agere, certis horis orationibus insistere, ante horas congruas non gustare cibum (vae enim terrae, cuius rex est puer, et cuius principes mane comedunt)... Qui vero regnum secundum hanc legem non dispensat, multas nimirum adversitates imperii tolerat. Idcirco enim saepe pax populorum rumpitur et offendicula etiam de regno suscitantur, terrarum quoque fructus diminuuntur et servitia populorum praepediuntur, multi et varii dolores prosperitatem regni inficiunt, carorum et liberorum mortes tristitiam conferunt, hostium incursus provincias undique vastant, bestiae armentorum et pecorum greges dilacerant, tempestates aeris et hiemisperia turbata terrarum fecunditatem et maris ministeria prohibent, et aliquando fulminum ictus segetes et arborum flores et pampinos exurunt.’
132Ausführlich Bernheim, l.c., Kap. III. Vgl. F. Kampers, Die deutsche Kaiseridee in Prophetie und Sage (München 1896); E. Sackur, Sibyllinische Texte und Forschungen (Halle a.S. 1898).
133Bernheim l.c., S. 70.
134Über das Verhältnis von Antichrist und Teufel besonders W. Bousset, Der Antichrist in der Überlieferung des Judentums, des neuen Testaments und der alten Kirche (Göttingen 1895), und die bei Sackur l.c., S. 104 ff. abgedruckte ‘Epistola Adsonis ad Gerbertam Reginam de ortu et tempore Antichristi’.
135Über die Fixierung des Weltunterganges im Jahre 1000 hat schon H. von Eicken, Die Legende von der Erwartung des Weltunterganges und der Wiederkehr Christi im Jahre 1000 (Forschungen zur deutschen Geschichte 23, 1883, S. 302 ff.) ausführlich gehandelt.
136Vgl. Sackur l.c., S. 129 ff., S. 181 ff.
137Ausführlich Bernheim l.c., S. 75, 101 ff.
138Vgl. unten S. 518 f.
139Seine sämtlichen Werke wurden herausgegeben von A. Olleris, Oeuvres de Gerbert (Clermont-Ferrand und Paris 1867). Mit ausführlicher Biographie. Neue Ausgabe der Briefe von J. Havet, Lettres de Gerbert (983-997), avec une introduction et des notes (Paris 1889). Durch diese kritische Edition ist erst eine Benützung der Briefe in grösserem Umfang möglich geworden. Die von Havet eingeführte chronologische Ordnung hat sich im allgemeinen als richtig erwiesen (vgl. Schlockwerder, Untersuchungen zur Chronologie der Briefe Gerberts von Aurillac, Halle 1893; Böhmer, l.c., Beilage III; Sickel und Schramm, vgl. unten). Wir zitieren die Briefe nach Havet.
Literatur über Gerbert u.a.:
Wilmans, l.c. (vgl. S. 170 und 172); Giesebrecht, l.c., S. 613 ff.; M. Büdinger, Über Gerberts wissenschaftliche und politische Stellung I (Kassel 1851); K. Werner, Gerbert von Aurillac, die Kirche und Wissenschaft seiner Zeit (Wien 1878); Barthélemy, Gerbert, étude sur sa vie et ses ouvrages (Paris 1868); K. Schultess, Papst Silvester II (Gerbert) als Lehrer und Staatsmann (Hamburg 1891); Picavet, Gerbert, un pape philosophe (Paris 1897); C. Lux, Papst Sylvesters Einfluss auf die Politik Kaiser Ottos III. (Breslau 1898); F. Lot, Etudes sur le règne de Hugues Capet (Paris 1903); P. Kehr in Hist. Zeitschr. 71, S. 87-90 über den Russen Bubnov; P.E. Schramm, Die Briefe Kaiser Ottos III. und Gerberts von Reims aus dem Jahre 997 (Archiv. f. Urkundenforschung IX, 1926, S. 87 ff.) Vgl. auch Th. von Sickel, Erläuterungen zu den Diplomen Ottos III. (Mitt. des Instituts f. österr. Geschichtsforschung XII, 1890), S. 209 ff., 369 ff.
140Über diese Sagenbildung K. Schultess, Die Sagen über Silvester II. (Samml. gemeinverst. wissensch. Vortr. 167, Hamburg 1893). Der Zusammenhang dieser Sagen mit den geschichtlichen Tatsachen ist nur sehr gering und geht hauptsächlich auf Irrtümer zurück.
141Vgl. die wissenschaftlichen Schriften bei Olleris, l.c., und Richer l.c. III, c. 43 ff.
142Vgl. M.G. Constit. I, 23 (Edikt von Pavia, 20 Sept. 998) und Hartmann l.c., S. 119 ff.
143Bagemihl l.c., S. 34 ff. hat den augustinischen Charakter der Schriften Gerberts richtig erkannt. Die meisten Analysen seiner Persönlichkeit (Wilmans, l.c., S. 170 ff., Havet l.c., S. XXXIV ff.) beachten diesen Faktor nicht.
144Vgl. z.B. ep. 18, 22, 38, 49, 103, 162, 190, 198, 199, 200; Acta Conc. Rem. bei Olleris l.c., S. 178 u.s.w.
145ep. 38.
146ep. 18, 19.
147ep. 69, 142, 197, 199, 201; Acta Conc. Rem., S. 178, 182.
148ep. 32, App. V; Acta Conc. Rem., S. 182.
149ep. 155, 181, 190, 193, 196, 217.
150ep. 103, 198; Acta Conc. Rem., S. 181.
151ep. 174, 178, 194.
152ep. 39, 125, 152.
153ep. 152.
154ep. 139. Statt ‘filii Belihal’ auch ‘organum Diaboli’ (ep. 172), das Gerbert auf sich selbst anwendet. Die Bezeichnung des Teufels variiert (ep. 189: ‘antiquus hostis’; ep. 195: ‘Satanas’, u.s.w.).
155ep. 138, 139, 144, 155, 190.
156ep. 144; wahrscheinlich im Namen Adalberos von Reims.
157So ep. 38 über Heinrich von Bayern; ‘Quem si ut tirannum timuimus, sed nunc plenum fidei et sapientiae miramur’.
158Vgl. unten S. 519 f.
159l.c., S. 206.
160l.c., S. 213.
161Ep. Adsonis ad Gerb. reg. bei Sackur l.c., S. 107: ‘Deinde (Antichristus) Hierosolimam veniens omnes christianos, quos ad se convertere non poterit per varia tormenta iugulabit, et suam sedem in templo sancto parabit. Templum etiam destructum, quod Salomon Deo aedificavit, in statum suum restaurabit et circumcidet se et filium Dei omnipotentis se esse mentietur.’ S. 111: ‘Ita se (Antichristus) extollet, ut in templo Dei sedeat, ostendens se, tamquam sit Deus.’
162Vgl. Havet, l.c., S. 22, Anm. 3.
163Havet l.c., S. 23, Anm. 2.,
164Sackur l.c., S. 185.
165Sackur l.c., S. 186.
166Sackur l.c., S. 185. Die Weissagung wurde Jesaja XI, 10 entnommen.
167ep. 172: ‘Nec ob amorem K(aroli) vel Ar(nulfi) passus sum diutus fieri organum diaboli, pro mendatio contra veritatem declamitando.’
168Vgl. unten S. 468 ff.
169Vgl. z.B. ep. 41 und 46 das Wort ‘fortuna’.
170So in der bei Havet, App. II, gedruckten Einleitung zum Libellus de Rationali et Ratione uti.
171So nennt Wilmans l.c., S. 172, Gerbert einen ‘unbeständigen und sittlich haltungslosen Charakter’. Dagegen Havet l.c., S. XXXVIII: ‘Enfin, dans toutes les charges dont il fut successivement revêtu, on ne saurait, je crois, citer un seul acte de son autorité ou de son influence qui ne lui ait été dicté par le sentiment de son devoir, par le zèle pour la justice ou par le souci du bien public’. Man wird unseres Erachtens vergeblich versuchen, diesen Streit zu schlichten, weil es fast immer nur die öffentliche, sich selbst kontrollierende Persönlichkeit Gerberts ist, die sich in den Briefen zeigt; es ist nur seine Stelle in der öffentlichen Welt, die man näher zu bestimmen vermag.
172Vgl. oben S. 406 und Anm. II, 31.
173Aufzählungen bei Giesebrecht l.c., S. 850, und Potthast, Bibliotheca Historica Medii Aevi (Berlin 1896), S. 1658.
174Vgl.: G. Bagemihl, Otto II. und seine Zeit im Lichte mittelalterlicher Geschichtsauffassung (Diss. Greifswald 1914).
K. Grund, Die Anschauungen des Rodulphus Glaber in seinen Historien (Diss. Greifswald 1910).
F.J. Feind, Die Persönlichkeit Kaiser Heinrichs II. nach der augustinisch-eschatologischen Geschichtsanschauung der zeitgenössischen Quellen (Diss. Greifswald 1914).
L. Frederich, Der Einfluss der augustinischen Anschauungen von pax, justitia, und den Aufgaben der christlichen Obrigkeit auf die Erlasse und Gesetze der deutschen Könige und Kaiser von den Ottonen bis in die Stauferzeit (Diss. Greifswald 1914).
M. Müller, Die Einleitungsformeln (Arengen) in den Urkunden von Konrad I. bis Otto III. (Diss. Greifswald 1910).
H. Lubenow, Die Slavenkriege der Ottonen und Salier in den Anschauungen ihrer Zeit (Diss. Greifswald 1919).
175Chronicon (M.G. SS. III, S. 723 ff. und Oktavausgabe von F. Kurze, Hannover 1889; wir zitieren die letztere, die eine andere Einteilung hat). Vgl. J. Strebitzki, Thietmarus episcopus Merseburgensis quibus fontibus usus sit (Regimonti 1870); Wattenbach, Geschichtsquellen I, S. 355 ff.; Teuffel l.c., S. 9 ff.; Schneider l.c., S. 26 ff.; Bagemihl l.c., S. 65 ff., S. 12 ff.; Bernheim l.c., S. 71 ff., 101.
176Wattenbach l.c., S. 357.
177l.c., S. 9.
178l.c., S. 10.
179Chron. I, c. 24; Bernheim l.c., S. 71.
180l.c. III, c. 1. Vgl. auch das Urteil Bruns von Querfurt, V. Adalb., c. 9 Böhmer, der l.c., S. 10, Anm. 1, die Äusserungen der Zeitgenossen über den Charakter Ottos II. verglichen hat, nimmt keine Rücksicht auf die oben angeführten psychologischen Bedingungen. Bei Bagemihl l.c. zeigt sich, dass die Urteile in hohem Masse von bestimmten ‘augustinischen’ Voraussetzungen abhängig sind.
181l.c. IV, c. 44 ff.; V, c. 4. IV, c. 63, gibt Thietmar den Zusammenhang der sog. ‘Anekdoten’ mit seinen Absichten deutlich an durch die Wörter: ‘In tempore praefati cesaris multi obiere pii ...’
182SS. III, S. 22 ff. Wattenbach l.c., S. 343 ff.
183Ed. Waitz (Hannover 1878). Wattenbach l.c., S. 349 ff.
184Vgl. Feind l.c., S. 30.
185A.Q. a. 997: Crescentius ist ‘diabolico fraude deceptus’. Johannes Graecus, der Gegenpapst, ist ‘non pastor, sed lupus’, ‘avaritiae diabolico inebriatus veneno’, ‘antichristi meinbrum vere effectus’. Beide sind ‘Sathanae ministri’. (a. 998).
186A.Q. a. 984: ‘regnum tyrannice invasit’. a. 985: ‘divino instinctu ad se reversus’.
187A.Q. a. 995 (Jer. XXIX, 17). Vgl. Lubenow l.c., S. 28.
188A.Q. a. 997. Vgl. Thietmar l.c. IV, c. 20.
189Vgl. unten S. 533 ff.
190Historiarum Libri IV (ed. Waitz. Hannover 1877) Wattenbach l.c., S. 413 ff.; Schneider l.c., S. 12 ff; Bagemihl l.c., S. 39 ff.
191l.c. II, c. 76.
192l.c. III, c. 97; IV, c. 29.
193Schneider l.c., S. 15 spricht deswegen von Richers, ‘doppelter Kausalität, ... wohl ein Bild des Denkens derer um Gerbert, d.h. der fortgeschrittensten Geister jener Zeit’. Es ist aber unrichtig, wenn Schneider behauptet, diese doppelte Kausalität (das Monopol der göttlichen Hilfe nur für die eigene Partei) gehe aus ‘unlauteren Motiven’ hervor. (S. 13) Dieses Monopol ist ja gerade das eigentümliche Element in den politischen Anschauungen des Mittelalters.
194Darüber ausführlich die oben angeführte Schrift Zoepfs.
195Vita S. Adalberti episcopi (SS. IV, S. 174 ff.). Vgl. Voight, Adalbert von Prag (Berlin 1898), S. 221, Anm. 1; Schneider l.c., S. 25; Zoepf l.c., S. 60, 103 ff; Teuffel l.c., S. 91 ff.
196Vita Secunda auct. Brunone archiep. (SS. IV, S. 596 ff; Bielowsky, Mon. Pol. Hist. I, S. 184 ff.). Voigt l.c., S. 224 ff, Anm. 1, und Brun von Querfurt, passim; Zoepf l.c., S. 60, 103, 124 ff. Vita Quinque Fratrum (SS. XV, S. 709 ff.).
197Epitaphium Adalheidae Imperatricis (SS. IV, S. 633 ff.). Vgl. Schneider l.c. S. 24.
198Vgl. unten Kap. IV, S. 552. f.
199D.h., sie überschreiten die Grenzen der augustinischen Begriffsbestimmungen nicht.
200Bielowsky l.c., c. 17.
201V. Adalb., c. 9, 10 (‘tunc peccato Ottonis multa mala surrexere ...’), 12. Die Aufhebung des Bistums Merseburg ist auch bei Brun Ursache des Missgeschicks Ottos II.
202Vita V Fr., c. 7. Die augustinische Basis der Theologie Bruns legt schon Voigt ausführlich dar. (Brun, S. 157 ff.).
203Frederich l.c., S. 14; Müller l.c., S. 91.
204Vgl. unten S. 466 f.
205Frederich l.c., S. 14.
206Müller l.c., S. 94.
207Pessimismus selbstverständlich in rein politischem Sinne; es handelt sich hier lediglich um praktische Konsequenzen der Lebensanschauung, nicht um eine Metaphysik.
208Giesebrecht l.c., S. 719.
209Havet l.c., App. II, S. 237.
210Vgl. unten S. 485 ff.
211U.a. bei Kehr, Lux und Hartmann in den oben angeführten Arbeiten.
212In der üblichen Darstellung, die sich noch vornehmlich auf Giesebrecht stützt, geschieht das nur selten, wie oben Kap. I, S. 407 f. bemerkt wurde.