Boekbespreking

die vollkommene ehe, ihre physiologie und technik von dr. th. van de velde, 340 s. mit 5 kurven im text und 8 z.t. farbigen tafeln als anhang. beno konegen, medizinischer verlag. leipzig und stuttgart, preis geheftet mark 9,50, in ballonleinen geb. mark 12,50.

der verfasser bearbeitet die frage vom physiologischen und - man kann es wohl so ausdrücken - psychologisch-physiologischen gesichtspunkt, er ist arzt und hat in seiner praxis eine reiche erfahrung gesammelt, die ihm dazu hilft, die heikelsten fragen sachlich und trotzdem für den laien verständlich zu behandeln; die ihm ferner dazu hilft, die dinge aus der perspektive und im gefühlskreis desjenigen menschentyps zu sehen, der in den ärztlichen sprechstunden am häufigsten zu sehen ist: des menschen nämlich, der sein leben nach tradition und regel lebt, mit verhältnismässig schwachem instinkt und geringer selbstkontrolle.

 

einem nach tradition und regel lebenden menschen kann man - so er hilfe nötig hat - auf zweierlei weise helfen: indem man entweder: zu den bereits - mehr oder weniger bewusst - vorhandenen regeln neue hinzu fügt (damit einen teil der alten unwirksam macht oder nicht)

oder: dahin wirkt, seinen instinkt zu entwickeln.

 

die zweite art kann die wirkung einer direkten lebendigen beziehung sein.

ein buch könnte darin wenig ausrichten.

[p. 460]

die erste art dagegen ist als aufgabe für ein buch durchaus gegeben. diese aufgabe hat van de velde in glänzender weise gelöst.

 

er gibt nicht nur ein deutliches bild der physiologischen vorgänge an sich, sondern er ordnet sie auch da ein, wo sie auf grund seiner erfahrungen als psychologe von den beteiligten selbst eingeordnet zu werden pflegen. es ist ein buch aus der praxis und für die praxis.

 

es ist ferner ein buch des studiums für fachleute, für ärzte, psychologen, u.s.w.

 

es ist aber nicht ein buch für menschen mit feinen nerven-instinkten, trotz der überaus vorsichtigen art des ausdrucks und der reichen materialmenge. denn es nimmt vorweg, was der einzelne selbst finden muss (dieser einzelne), es nennt die dinge, die ungenannt nur beglückend sind, genannt zur sache werden, es verallgemeinert dinge, die dieser einzelne ‘technisch’ wohl so, persönlich jedoch ganz anders erlebt.

 

so ist so möglich, dass die positiven seiten einer arbeit zugleich die negativen sein können, im relativen sinne.

nichtsdestoweniger: die wertung bleibt positiv; mit der einschränkung, dass es nur da wirklich positiv wirkt, wo der leser ein mensch der positiven tatsachen ist.

 

wer da meint, ein ‘erbauliches’ buch zu finden, ist im irrtum. der untertitel charakterisiert es besser als der haupttitel.

l.m.



illustratie
DIE LEISTUNG EHRT DAS WACHSENDE
L. MOHOLY-NAGY
FOTOPLASTIK 1927