Briefwisseling Menno ter Braak - Rudolf G. Binding

Menno ter Braak
aan
Rudolf G. Binding

12 december 1933

12 Dez. 1933

Herrn RUDOLF BINDING

Buchslag, HESSEN

Sehr geehrter Herr Binding

Mein Freund und Kollege Maurice Roelants überreichte mir einen Brief, in dem Sie sich beschweren über meine Kritik bezüglich Ihrer Schriften in der Nieuwe Rott. Courant. Es schmerzt mich aufrichtig, dass diese Kritik Ihren Zorn geweckt hat, denn ich schrieb sie nicht damit Sie sich ärgern würden; wenn ich auch gezwungen bin, jeden Buchstaben meines kurzen Aufsatzes zu behaupten. Ich hatte nur die Aufgabe, den Lesern der N.R.C. klarzumachen, wie ich mich als holländischer Schriftsteller und ausserdem Mitarbeiter dieser Zeitung zu Ihren Büchern verhalte. In der Tat, ich habe diese Schriften ‘zerrissen’, und sogar ohne Belege. Dass ich ‘einfach kein deutsch lesen kann’ muss ich in diesem Zusammenhang leider in Abrede stellen, und als Beweis füge ich eine Übersetzung meines Artikels zu. Damit will ich am wenigsten sagen, dass ich über einen so schönen Stil verfüge wie Sie und dass Sie keine Fehler in Brief und Übersetzung entdecken werden.

Dass Sie in den deutschen Zeitschriften und Zeitungen nicht ‘zerrissen’ wurden, freut mich sehr, und ich habe nichts dagegen. Ich erlaube mich nur dazu zu bemerken, dass dieser Umstand nichts ändert an meine Meinung über Ihren Stil; im Gegenteil, ich erwartete eine solche communis opinio in Deutschland. Ich will ja keineswegs leugnen, dass dieser Stil sich der neuen deutschen Romantik vorzüglich anpasst; der Kultus der ‘schönen Gefühle’, worüber Nietzsche so seine Meinung hatte, erscheint immer dort, wo die Freiheit des Gedankens lahm gelegt und die ‘lactea Ubertas’ des stilisierten Satzes Hand über Hand wächst. Schöner Stil ist für mich eine ‘Toilettenangelegenheit’, wenn er Banalitäten zu verhüllen hat; und in Ihren Arbeiten suchte ich vergeblich nach Originalität und ‘Wahrheit’ im Sinne Nietzsches. Nicht mehr und nicht weniger wollte ich in der N.R.C. dem Publikum mitteilen; hoffentlich wollen Sie dabei in Betracht ziehen, dass es sich hier handelt um ein holländisches Publikum; es liebt den Humor, der in Ihren Bücher volkommen fehlt; es hat schlechte Eigenschaften, ist aber nicht so mühsam und ernst wie Ihr Stil. ‘Rien au monde ne me semble bête que la gravité’, hat Stendhal gesagt, und ich sage es ihm nach.

Nicht um mich zu entschuldigen, sondern nur um Ihnen klarzumachen, dass ich mich gewissenhaft mit Ihren Büchern befasst habe, schreibe ich Ihnen diesen Brief. Inzwischen habe ich die N.R.C. gebeten eine Gegenkritik mit meiner Unterschrift aufzunehmen; die Redaktion aber hat prinzipielle Beschwerde dagegen, so dass ich Ihnen in dieser Hinsicht leider nicht helfen kann.

mit vorzüglicher Hochachtung,

Doorslag: Den Haag, Letterkundig Museum

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