Arthur Segal
Mein Weg der Malerei
Aus einem Vortrag

Über sich selbst, oder in diesem Falle über die eigene Kunst zu sprechen, ist eine schwierige Angelegenheit, denn objektiv zu sein ist im allgemeinen kaum möglich, überhaupt sich selbst gegenüber.

Ich will aber versuchen so objektiv als möglich zu sein, und darum werde ich Ihnen nur sagen wie ich zu meiner Kunstäusserung gekommen bin und welche Ziele meine Kunst verwirklichen möchte. Ich überlasse somit jedem von Ihnen das Urteil, ob ich mich mit meinem Werk mehr oder minder meinen Bestrebungen genähert habe. Ich will Niemandem meine Ideen aufzwingen, denn obwohl ich meine Ideen als für mich wichtig und charakteristisch betrachte, so bin ich dadurch nicht gehindert auch noch so entgegengesetzte Anschauungen anderer zu respektieren und als für sie notwendig zu betrachten. Jede Individualität rechtfertigt durch sich selbst ihre Notwendigkeit und hat ihre Berechtigung ohne dadurch die Notwendigkeit einer anderen Individualität und ihre Berechtigung bestreiten zu können.

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Der Krieg hat alle Menschen und auch mich aus der gewohnten und traditionellen Bahn gebracht. Vor allen Dingen verlor die Kunst den Nimbus, mit dem ich sie umgeben hatte. Sie erfüllte nicht mehr das was ich von ihr erwartete und erhoffte. Heute stehe ich der Kunst gegenüber ebenso gläubig wie vor dem Krieg, habe aber gelernt, die Aufgabe und das Wirken der Kunst als ethischen Faktor so zu betrachten, dass eine Enttäuschung, wie sie damals kam, nie mehr kommen kann. Damals war ich der Kunst böse, dass sie den Krieg nicht verhindern konnte und betrachtete ihr Wirken als bankrott. Ich verlor die innere Beziehung zu ihr, da mir ihre ethische Notwendigkeit nicht mehr einleuchtete. Aber auch die Wissenschaft schien mir bankrott und ich leugnete auch die Wissenschaft. Kein Wunder, dass ich mich der abstrakten Philosophie und den Religionen zuwandte und dass ich darin Auswege zu finden, mich bemühte. Ich begann zu schreiben. Die Malerei war nur noch eine äusserliche Gewohnheit. Ich malte, weil es mir Freude machte, Farben nebeneinanderzusetzen. Ich zeigte eine Landschaft, die ich gerade gemalt hatte, - es war eine Kirche mit Bäumen, Sonnenstrahlen fielen durch die

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LEUCHTTURM
A. SEGAL


Blätter und die ganze Leinwand durch Sonnenflecke belebt - ich zeigte sie meinem verstorbenen Freund, dem Maler Vicking Eggeling, dessen Probleme des abstrakten Films bekannt sind. Damals im Jahre 1916, es war in Ascona bei Locarno am Lago Maggiore, malte ich expressionistisch, wie man es nannte. Ich hatte Matisse und Munch gesehen, auch van Gogh hatte stark auf mich gewirkt. Eggeling gefiel meine Landschaft als Malerei, aber er fand die Komposition schlecht und zwar darum, weil jeder dominante Punkt fehlte. Die Sonnenflecke hoben das Dominierende irgend eines Teiles auf. Eine gute Komposition, sagte Eggeling, müsse eine oder einige Stellen hervorheben und überbetonen und die anderen unterordnen, sodass das Auge des Beschauers sofort durch die dominierende Stelle gefesselt wird. Diese dominierende Stelle ist gewissermassen der Halt oder die Basis der Komposition. Dahin strömen alle Kräfte und von dort aus werden sie geordnet. Meine Schreiberei, die mir gewissermassen eine Zuflucht wurde, beschäftigte sich mit den Fragen nach den Ursachen der Konflikte zwischen Menschen und Völker und ich erkannte, dass der Drang des Einzelnen oder der Völker sich den anderen gegenüber zu überordnen, sich als wichtiger zu betrachten, eine der Hauptursachen der Konflikte ist. Ich erkannte, dass die Natur solche Unterschiede nicht macht, indem sie sich ebenso eingehend und erschöpfend mit einem Schmetterling z.B. wie mit einem Stern beschäftigt. Ich erkannte, dass sowohl der Schmetterling wie auch der Stern der Kausalität unterworfen ist und dass die Kausalität keine

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Unterschiede von wichtig oder nicht wichtig macht. Ebenso wurde mir klar, dass ich aus dem Kosmos keinen Schmetterling fortdenken kann wie ich keinen Stern wegdenken kann. Ich erkannte, dass die Wertungen, die wir vornehmen, Resultate unserer Unzulänglichkeit des Erfassens und des Verstehens des Lebendigen sind. Und wie Eggeling die Dominante in der Bildkomposition vertrat, wurde mir klar, dass die Kompositionsgesetze unserer Kunst, Malerei, Bildhauerei, Musik, Literatur u.s.w. unseren wertenden oder über- und unterordnenden Einstellungen zum Leben entsprechen. Und ich sah, dass unsere Kunst diese wertende Einstellung verherrlicht, bestätigt und darum nicht die Konflikte lösen kann, die aus dieser Einstellung entspringen und dass sie sogar diese Konflikte herausfordert und predigt. Die Verherrlichung des Helden ist das Werk oder die Konsequenz des Wertens. Was aber dem Helden oft zu viel gegeben wird, das wird dem anderen Menschen zu wenig gegeben. Und so in der Kunst auch. In der Malerei z.B. sieht das Auge des Beschauers sofort die Hauptsache in der Komposition und wenn es auch die Nebensachen betrachtet, so kehrt es immer wieder zum dominierenden Teil zurück. Und ich betrachtete die Natur und fand, dass in ihr nichts überordnet ist, wenn man sie als ein Ganzes, Kontinuierliches, Unbegrenztes betrachtet. Ich fand, dass das Auge des Beschauers, obzwar es den Turm z.B. grösser als das Pferd oder den Baum erkennt, trotzdem nicht das Empfinden hat, dass der Turm wichtiger als das Pferd sei. Ich sah, dass wenn das Auge herumgeht, dass dann der Turm, manchmal nicht einmal der höchste Punkt ist, also auch in diesem Sinne nicht der dominierendste und dass sogar ein sehr tiefliegender Punkt unser Auge fesseln kann oder im nächtsten Augenblick ein sehr stark farbiger Fleck oder ein sehr dunkler oder ein sehr heller Fleck. Ich fand, dass wenn das Auge sich in irgend einen Gegenstand vertieft und sich eingehend mit ihm beschäftigt, dass er dann ebenso wichtig wird wie ein anderer. Betrachte ich z.B. eine Tasse genau und studiere sie eingehend bezüglich ihrer optischen Erscheinung, Schatten, Licht, Hell, Dunkel, Härten, Weichheiten, Konstruktion, Farbe u.s.w. so enthält sie in sich dieselbe Basis der optischen Gesetzmässigkeiten wie jeder andere Gegenstand oder wie ein menschlicher Körper. Und von diesem Standpunkte aus erkenne ich, dass ich von der optischen Gesetzmässigkeit der Tasse die optische Gesetzmässigkeit, wenn man will des ganzen Kosmos ableiten kann. Der Stuhl, den van Gogh gemalt hat wird, wenn er von diesem Standpunkte aus betrachtet wird, wie es auch van Gogh getan hat, zu einem Heiligtum genau so wie eine Madonna eines alten Meisters. Es kommt also nur darauf an wie unser Auge sich einstellt. Die Art wie die Kompositionen mit dominierenden Teilen die Dinge betrachten, ist, von unserem Standpunkte aus, oberflächlich, unzulänglich und vom Zufall abhängig. Der Zufall ist das subjektive kleinere oder grössere Interesse, das wir dem einen oder dem anderen Gegenstand entgegenbringen. Oder wenn in einer Landschaft ein weisses Haus von der Sonne stark beleuchtet ist, so wird es sofort duch ein oberflächliches Hinschauen stärker wahrgenommen als all die anderen Teile. Und so ist unsere Einstellung im Leben eine subjektive, von Sympathie und Antipathie abhängige oder von äusseren Einwirkungen des Lichtes, der Farbe, der Grössenunterschiede und darum eine unzulängliche und oberflächliche. Wir nehmen auch am leichtesten wahr, was an der Oberfläche liegt. Und darum werden wir uns und der Umwelt nicht gerecht und darum entstehen unsere Konflikte mit der Umwelt und mit uns selbst. Durch diese oberflächliche Betrachtungsart holen wir wie gesagt irgend einen Teil heraus und da wir ihm die Hauptaufmerksamkeit geben, so trennen wir ihn gewissermassen von der Umwelt und je mehr wir es tun. destomehr stellen wir ihn allmählich ganz ausser Beziehung. Er wird selbstzwecklich. Und so sind die Kompositionen mit dominierendem Teil Ausschnitte aus dem Ganzen, die nur zum Zweck dieses dominierenden Teiles vorhanden und gegeben sind. Und tatsächlich, wenn wir die Natur als Ausschnitt betrachten, so wird in jedem Ausschnitt ein oder der andere Teil dominant. Aber wenn wir die Natur oder ihre Dinge als Teile der Ganzheit, als Teile, die ohne das Ganze nicht sein können, betrachten genau so wie das Ganze ohne den Teil nicht sein kann, dann gibt es nicht mehr einen domi-

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nanten Teil, sondern jeder Teil ist gleich dominant, weil er gleich wichtig für das Ganze ist. Ich könnte also sagen, dass die Komposition mit dominantem Teil oder mit Haupt- und Nebensache beziehungslose Kompositionen sind. Sie haben nur Beziehung zu ihrem dominanten Teil und stehen ausser Beziehung der Umwelt gegenüber. Diese Kompositionen sind ein Symbol für das Unkollektive und Unsoziale. Sie sind Symbole des rücksichtslosesten Individualismus, denn der Hauptpunkt ist der zentrale Machtfaktor. In einer Schrift ‘die Grundlagen der wesentlichen Kunst’ formuliere ich es so:

‘die zentralistische Komposition ist die Gewalt, die vom Zentrum als Hauptsache ausgeht, sich über das Ganze des Bildes ausbreitet und alles niederzwingt.’

Die Harmonie, die so entsteht, ist eine scheinbare Harmonie, denn sie ist durch den Zwang, der von der Hauptsache ausgeht, bedingt. Verdeckt man die Hauptsache, so fällt alles auseinander.

Von dem Augenblick dieser neuen Erkenntnis an, begann die Kunst, d.h. die Malerei in diesem Falle, wieder eine Bedeutung für mich zu haben. Ich erkannte, dass in ihr immer der Drang nach Harmonie und Gleichgewicht innewohnt. Ich verstand auch, dass was einer Zeit Gleichgewicht bedeutet, einer anderen als Ungeheuerlichkeit erscheint. Ich verstand, dass jedes Symbol nur für seine Zeit Symbol sein kann und ich fand für die Malerei das Symbol, das aus der Notwendigkeit der Zeit und aus meiner inneren Notwendigkeit erstand. Die Kunst bekam ihren Nimbus wieder und ich begann mit Inbrunst zu arbeiten. Ich suchte die Form für das Symbol der Gleichwertigkeit.

Die Anschauung, dass die Kunst nur dann Kunst sei, wenn sie intuitiv entsteht, wenn sie rein aus dem Gefühl entspringt, ist für uns heute nicht mehr alleingültige Wahrheit. Dieser Anschauung gegenüber steht sogar oft die entgegengesetzte, die jede Intuition und jedes Gefühl von der Kunst fernhalten will. Ich glaube, es ist am besten und es entspricht den Tatsachen am meisten anzunehmen, dass Gefühl und Verstand gleichwertig mitwirken müssen, wenn ein harmonisches Kunstwerk entstehen soll, womit gesagt wird, dass auch in dieser Beziehung eine Über- oder Unterordnung nicht günstig und zweckmässig ist. Zu viel Gefühl ist ebenso ein Verstoss gegen das Gleichgewicht wie zu viel Verstand. Ausserdem ist es kaum möglich zu sagen, wieviel die Vernunft und wieviel das Gefühl in Momenten der Arbeit mitgewirkt haben. Die meisten Kunstwerke sind charakteristisch durch ein Übergewicht des einen oder des anderen Faktors und nur diejenigen, die ein Gleichgewicht dieser beiden Kräfte aufzeigen, gehören zu den Vollendetsten. Aber es ist auch gleich, ob ich eine Form oder eine Farbe sehe, die mich auf den Gedanken bringt, eine neue Möglichkeit des Sehens zu gestalten oder ob ein Gedanke mich die Formen oder die Farben anders sehen lässt als wie bisher. Die Welt ist Vorstellung. Und die Vorstellung in uns entspringt aus der gegenseitigen Reaktion der Umwelt auf uns und unsere Reaktion auf die Umwelt. Es kann mir z.B. einfallen in einem Baum oder in einer Wolke Formen zu suchen, die einem menschlichen Gesicht ähnlich sind und dan werde ich sie bestimmt finden. In diesem Falle war der Ausgangspunkt mein Wille oder mein Verstand. Aber es kann auch sein, dass ich eine Wolke sehe und plötzlich erkenne ich ein menschliches Profil. In diesem Falle war der Ausgangspunkt die Wolke und hat auf mein Gefühl gewirkt und so erkannte ich, dass eine Wolke einem menschlichen Gesicht ähnlich sein kann. Gehe ich aus dieser Erkenntnis an die Arbeit, so male ich Wolken, die menschlichen Gesichtern ähnlich sind, sodass die Wolke als solche nicht mehr in Betracht kommt.

In meinem Fall hat die Idee, oder der Verstand mich darauf gewiesen, dass die Dinge auch anders zu sehen sind als im über- und unterordnenden Sinne. Und ich sah, und ich sehe jetzt ohne Mühe die Dinge koordoniert, und nicht mehr sub- oder superordoniert. Aber ich kann auch, wenn ich mich anders einstelle, die Dinge auch sub- oder superordoniert sehen, wenn ich mich auf der alten Basis der Anschauung stelle. Die Mittel zur Gestaltung der Koordonation der Dinge drängten sich mir auf.

Da ein Kunstwerk ein Symbol ist und sein muss, so hat die Form und die Farbe nicht

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AUS HELGOLAND
A. SEGAL


mit der Natur zu tun, sondern mit dem Symbol. Da aber in der Natur alle Symbole enthalten sind, entspricht auch jedes Symbol der Natur und darum entspricht auch jedes Kunstwerk, das Symbol ist, der Natur. Da jede Zeit ihr Symbol hat, so ist die Kunst jeder Zeit ihr Ausdruck. Und in dem Moment, wo das zeitliche Symbol Allgemeingut geworden ist, ist auch sein künstlericher Ausdruck allgemein verständlich und wird zum Naturalismus. Heute ist uns ein abstraktes Bild ebenso geläufig wie ein gegenständliches und ist darum naturalistisch und nicht mehr Symbol. Wir wissen genau was solch ein abstraktes Bild soll, genau so wie wir wissen, was ein gegenständliches bedeutet. Aber wir mussten erst lernen sowohl bei dem einen wie bei dem anderen, zu wissen was es soll. Genau so wie ein Kind, das ein Haus aus seinen Bausteinen bauen will, naiv beginnt, so begann ich auch die Bausteine der Erkenntnis meiner neuen Grundlage des Sehens zusammen zu setzen. Es wurde mir klar, dass das Haus erst einen Grundriss haben muss und dass der Grundriss der Ausgangspunkt ist. Der Grundriss musste so sein, dass jeder Teil gleich wichtig ist und dass trotzalledem das Ganze in seiner Gesamtwirkung nicht leide. Vor allen Dingen kam es mir darauf an, die Gleichwertigkeit jedes Teiles zu betonen gewissermassen als Protest gegen die betonte Ungleichwertigkeit, die konventionell war. Ich sagte mir, dass wenn jeder Teil gleich wichtig, gleichwertig sein soll, so muss er auch gleich gross sein, denn ein grosser Gegenstand erdrückt einen kleinen. Jeder Gegenstand muss darum den gleich grossen Raum auf der Bildfläche beanspruchen können. Und so teilte ich die Fläche der Leinwand in eine Anzahl gleich grosser Vierecke ein. Somit hatte ich das Schema des Grundrisses der Gleichwertigkeit. In jedes Viereck setzte ich einen Gegenstand, der gleich gross war, ganz gleich ob es eine Blume oder ein Haus war. Es sollte damit gesagt werden, dass in der Natur die Blume ebenso wichtig ist, wie das Haus. Die Schattierung, die von schwarz über eine Farbe bis zum weiss geht, soll die objektive Belichtung symbolisieren in Gegensatz zu der Schattierung, die durch die Beleuchtung eines Lichtkörpers entsteht, die subjektiv ist. Denn die Belichtung, die durch einen Lichtkörper entsteht, z.B. durch die Sonne, fällt stärker auf denjenigen Gegenstand, der ihr am meisten ausgesetzt ist, beleuchtet ihn stärker und überordnet ihn dem anderen gegenüber. Diese objektive Beleuchtung von schwarz zu weiss symbolisiert auch die Polarität des Positiven und Nega-

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tiven in jedem Gegenstand. Die Gegenstände, die ich so in die Vierecke des Grundrisses setzte, sollten gewissermassen den Bau ergeben, der aus dem Grundriss entsteht. Der Grundriss ist die Formel der Ordnung oder die Gesetzmässigkeit oder das Gesetzbuch des Bildstaates. Aber ein Staat kann nicht ein Staat sein und ein Gesetz bleibt abstrakte Formel, wenn nicht im Staate Menschen sind, die nach dem Gesetze leben. Mit anderen Worten: der Grundriss an sich kann ein wunderbares Ding sein, wie eine wunderbare Theorie, die aus der Erkenntnis der Gesetze der Natur entsteht. Aber erst dann wird der Grundriss lebendig und zweckmässig, wenn er angewandt wird, d.h. wenn das Haus, das aus ihm sich als eine Notwendigkeit, als eine notwendige Konsequenz ergibt, gebaut wird. Der Architekt kann auf dem Papier viele Grundrissideen aufzeichnen. Es sind Ausgangspunkte. Aber er wird kein Architekt sein, wenn er nicht die Baukonsequenzen dieser Grundrisse verwirklichen will. Es ist selbstverständlich, dass es bei einer Bildkomposition nicht darauf ankommt, ob man gegenständlich oder gegenstandslos ist, dass man genau so mit Vierecken oder Dreiecken eine Fläche kompositionell gestalten kann, wie man es mit Gegenständen tun kann. Dass aber nur Vierecke oder Gegenstandslosigkeit erlaubt ist, dass nur abstrakten Formen dem Geist und dem Sinn der Malerei entsprechen, ist für mich eine Monstrosität, obzwar ich genau den Gang der Entwicklung zu dieser Konsequenz kenne und verstehe. Für mich ist diese Konsequenz das selbstverständliche Resultat eines auf die Spitze getriebenen Gedankens, der sich selbst aufhebt. Dass es so ist, hat die Reaktion, die durch die ‘Neue Sachlichkeit’ charakterisiert wird, gezeigt. Die Neue Sachlichkeit ist der polare Gegensatz zum Konstruktivismus. Meine Malerei ist die Synthese zwischen Konstruktivismus und ‘Neue Sachlichkeit’. Nicht nur dass die Neue Sachlichkeit die Gegenständlichkeit auf die Spitze treibt, also das extremste Gegenteil betont, sie will auch nichts mehr von den errungenen Gesetzen der Bildgestaltung wissen, sie pfeift sozusagen auf Grundrisse. Aber dazu musste es kommen, denn der konkrete Gegenstand ist nun einmal nicht aus der Welt zu schaffen. Und eine Kunst, die nur abstrakte Gegenstände oder Ungegenstände berücksichtigt, eine Kunst, die leugnet, dass der konkrete Gegenstand mit ihr etwas zu tun hat, verliert die Beziehung zu den konkreten Dingen und die konkreten Dinge verneinen ihrerseits eine solche Kunst. Für das konkrete Leben bleiben die Bildgestaltungen durch abstrakte oder geometrische Formen nur Grundrisse oder Gesetzmässigkeiten, die nur für die Welt der abstrakten und geometrischen Formen in Betracht kommen. Und so sind die Maler dieser Formeln von Bild oder Gestaltungsgesetzmässigkeiten wie die Architekten, die nur Grundrisse entwerfen, und die sagen, dass der Grundriss an sich, ein eigene Welt sei, in der viel Mannigfaltigkeit möglich ist. Sie sagen, es sei unarchitektonisch den Grundriss durch den darauf gebauten Bau in diesem Falle durch darauf gemalte Gegenstände zu verdecken. Der Bau oder die Gegenstände lassen die Klarheit des Grundrisses nicht mehr so eindeutig sprechen, sie wirken ablenkend und verwischend. Architektur sei Grundriss und nichts anderes. Solche Architekten aber würden zur Konsequenz der Verneinung der Architektur kommen und würden Maler werden, denn der Grundriss an sich ist ja ein abstraktes Bild. Und koloriert man noch dazu die verschiedenen Vierecke oder sonstigen geometrischen Formen, so ist das abstrakte Bild vollständig. Ornamental wirkt ein Grundriss ja sowieso und ist darum dekorativ. Und unendliche Möglichkeiten der Komposition oder der Raumverteilung der Fläche des Grundrisses gibt es auch. Umgekehrt wurden die Maler aber Architekten und führten zur Architektur, weil sie die konkrete Welt, die konkrete Gegenständlichkeit ausmerzen wollten und sich nur mit der Einteilung der Bildfläche begnügten und diese als die alleinige Aufgabe der Malerei ausriefen. Sie schufen somit Grundrisse für die Architektur. Und die Architekten kamen und bauten auf diesen Grundrissen Häuser, also konkrete Gegenstände. Hier trennt sich mein Weg von dem Wege, den die Entwicklung des Konstruktivismus in der Malerei nahm und darum bin ich ein Outsider geblieben. Bin ich - wenn auch auf eigenen Wegen - gewissermassen parallel mit der Entwicklung gegangen, so sind die Konsequenzen, die mein Weg zeitigte, von hier aus dia-

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metral entgegengesetzt zu denjenigen der Entwicklung. Denn die Entwicklung zog als Resultat ihrer Arbeit die vollständige Negation der Malerei, die Negation der Kunst überhaupt, während ich, oder besser gesagt, mein Weg als Konsequenz eine stärkere Bejahung der Malerei und der Kunst überhaupt brachte. Verneinte ich die Kunst am Anfang des Krieges, weil mir die moralische Basis ihrer Berechtigung verloren ging und ich einer neuen bedurfte, die ich dann fand, so verneinten meine Kollegen die Kunst in dem Augenblick als sie für sie eine formale Basis fanden, weil sie bei der Formel selbst blieben und die moralische Basis verloren. Ihre Formel wurde zur Basis der neuen Architektur und sie selbst gingen zur Architektur über, weil sie dort die moralische Basis verlegten, weil sie dort Glaubende wurden. Und mit dem Fanatismus des neuen Glaubens bekämpften sie den Boden aus dem sie die Nährstoffe geholt hatten, sie verneinten die Malerei als Kunst. Als ich im Jahre 1921 zum ersten Male in Berlin Novembergruppe, Bilder ausstellte, die die optische Gleichwertigkeit zum Ausdruck brachten, sagte mir Theo van Doesburg es sei schade, dass ich in die Vierecke Gegenstände hineingemalt hätte. Es sei nicht die Aufgabe der Malerei Gegenstände zu malen. Die Vierecke genügen, um Malerei, reine Malerei, zu sein. Alles andere ist ein Verstoss gegen den Geist dieser Kunst. Die Konsequenz aber, zu der dieser Kollege gelangte und gelangen musste, ist die Verneinung der Malerei als Kunst und zur selben Konsequenz gelangten alle, die ähnliche Wege gingen. Die Konsequenz meines Weges aber ist die noch stärkere Bejahung der Malerei. Für mich entstand sie von neuem, da sie mir in neuer Weise zum Symbol wurde. Ich möchte ausdrücklich betonen, dass ich nicht die Absicht habe gegen andere Ansichten zu polemisieren. Ich möchte auch nicht den Anschein erwecken, als ob ich nicht die Bedeutung und die Notwendigkeit der Entwicklung zugebe und verstehe. Hier möchte ich nur sachlich die Verschiedenheit der Wege zeigen. Ich möchte zeigen, dass ich teilweise Beziehungen zu der Entwicklung hatte, aber dass ich von einem bestimmten Moment von ihr abweiche.

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DORFSTRASSE
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Die Verneinung der Malerei ist gewissermassen eine Askese zu der, der auf die Spitze getriebene Purismus führen musste. Jede Askese ist lebensfeindlich und führt zur Verkümmerung sowohl des Asketen selbst als auch der von ihm vertretenen Anschauung. Dass andererseits durch puristische Betrebungen die Idee des Ausgangspunktes sehr stark aufgezeigt wird, ist selbstverständlich. Aber mit der starken Aufzeigung wird auch die Idee erschöpft und verliert die Kraft des Symbols. Grundrisse sind solange von lebendiger Bedeutung als sie Vorstufen des Baues sind. Und so waren die Vierecke meiner Kompositionseinteilung für mich der Grundriss einer Ordnung der Gerechtigkeit, in der die Individuen der Gegenstände sich wohlfühlen sollen und sich wohlfühlen müssen, weil jedem von ihnen die freieste Entfaltungsmöglichkeit gegeben wird. Ich begann wie gesagt primitiv die Mittel zu suchen, um zur Gestaltung des neuen Symbols zu kommen. Ich möchte hier nicht die einzelnen Etappen des Weges auseinandersetzen. Es würde zu weit führen. Abgesehen davon war von nun ab meine Arbeit eine Folge von Resultaten, die sich aus der Arbeit selbst ergaben. Das Schema wurde allmächlich durchbrochen zu gunsten freierer Einteilungen. Der bemalte Rahmen entstand durch die Notwendigkeit, die sich aus der Komposition ergab und zwar während der Arbeit selbst. Die zentralistische Komposition, die alle Teile des Bildes von der Hauptsache abhängig macht, muss einen abschliessenden Rahmen forden. Das Bild bezieht sich ja auf seinem dominierenden Teil. Und die Dynamik dieses Teiles reicht nur so weit als sie die Umgebung erfassen kann. Weiter in den Raum kann sie nicht wirken und der abgrenzende Rahmen schliesst die Bildfläche dort ab, wo die Dynamik des dominierenden Teiles aufhört. Die deszentralisierende Komposition der Gleichwertigkeit kann nicht abschliessen, da die Teile, die an der äussersten Seite der Bildfläche sind, ebenso dominieren, wie die in ihrer Mitte. Und so überstrahlt die Komposition den Rahmen und die Beziehung mit dem Raum ausserhalb der Bildfläche wird zum mindesten angedeutet. Da ein Weiterführen der Komposition in die Unendlichkeit eine Unmöglichkeit ist, so wird der bemalte Rahmen wenigstens eine Überleitung.

Seit 1916 arbeite ich an diesem Problem und habe versucht seine Möglichkeiten zu erschöpfen. Ich könnte sagen, dass ich mich heute noch am Anfang befinde. Ich habe versucht alle Richtungen vom Naturalismus bis zum Konstruktivismus mit meinem Problem zu verbinden, denn diese Richtungen sind für mich nicht Gegensätze, sondern Ergänzungen der Möglichkeiten des Ausdruckes. Und in einer impressionistischen Anschauungsweise ist die deszentralisierende Kompositionsbasis der Gleichwertigkeit ebenso möglich wie in einer expressionistischen oder kubistischen. Das Problem der Gleichwertigkeit sucht nicht neue formale Wege. Sie nimmt alle voorhandenen und kommenden auf nur um ihnen eine gerechtere Basis, einen gerechten Grundriss sozusagen, zu geben, auf und aus dem sie ihre Gestaltungen verwirklichen sollen. Der Grundriss der Gleichwertigkeit ist somit im Einklang mit der Idee der Zweckmässigkeit und Sachlichkeit. Es ist zweckmässiger, dass jeder Teil zu seinem vollen Rechte kommen soll als dass der eine auf Kosten des anderen übermässig entwickelt wird. Und hier sind auch die Beziehungen meiner Malerei zur modernen Architektur zu finden. Alles Überflüssige der Nebensachen wird vermieden. Es gibt eben keine Nebensachen, keine falsche Ornamentik möchte ich sagen, die nur Atrappe ist. Keine Überladung, wodurch der konstruktive Grundriss verdeckt und unorganisch wird. Und so kann ich mir denken, dass die Errungenschaften der modernen Architektur, die in der Hauptsache auf der Erkenntnis der gleichwertigen Einheitlichkeit des Grundrisses und des Baues entsprungen sind, dass sie absolut im Einklang stehen könnten mit Architekturformen früherer Zeiten und also gewissermassen alle Richtungen einbeziehen können. Und ich kann mir denken, dass trotzdem neue, der Zeit entsprechende Gestaltungen entstehen.

Es würde zu weit führen diesen Gedanken auszuführen. Ich kann ihn hier nur andeuten auf die Gefahr hin missverstanden zu werden.

Hiermit habe ich die erste Periode meiner Entwicklung auseinanderzusetzen versucht. Es wäre noch viel über die Theorie der Gleichwertigkeit zu sagen, denn sie umfasst alle Gebiete

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des Lebens. Für mich bedeutet sie eine Weltanschauung. Ich möchte nur bemerken, dass Gleichwertigkeit nicht Gleichmacherei bedeutet, dass sie gerade die stärkste Garantie der Verschiedenheit und Mannigfaltigkeit ist und dass sie der individuellen Eigenart am meisten Rechnung trägt. Sie ist im wesentlichen die Forderung der gegenseitigen Achtung und der Achtung der Gesamtheit gegenüber. In einem Buch ‘Grundlagen der wesentlichen Kunst’ habe ich den Versuch gemacht die Richtlinien einer neuen Aesthetik auf ethischer Basis in der Kunst zu geben.



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CESAR DOMELA
COMPOSITION
1926