VI Internationaler Kongress fur Zeichnen, Kunstunterricht und Angewandte Kunst in Prag, 29 Juli-5 August 1928

die société anonyme new-york hatte unsere mitarbeiterin lucia moholy als delegierte zum prager kongress entsandt, wir geben ihren für amerika geschriebenen bericht hier mit geringen kürzungen wieder.
Le centre de gravité du congrès fut entre les mains des pédagogues.
Le congrès demanda dans une motion collective que l'enseignement du dessin comme base conceptuelle pour le métier, considère dorénavant les qualités de la matière à travailler. La vraie conclusion de prendre la matière elle-même comme point de départ ne fut faite que de quelques-uns. Un des plus intéressants articles du programme - l'influence des arts modernes sur l'enseignement de l'école - ne fut que effleuré.
L'exposition: beaucoup de convention, beaucoup d'assujettissement quant à la forme, résiduaire de décades passées. Les résultats non-conventionnels font exception.
Comme donnée positive on s'enrichit de: certains noms, certaines écoles, sans que l'on pourrait les enrégistrer comme caractérisant leurs pays.

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The pith of the congress fell to the share of the pedagogues.
The congress claimed in a collective resolution, that tuition of drawing as the conceptional base for the handcraft should, henceforth, consider the essential conditions of the material of the substance to be worked upon. The actual logical inference of considering the material itself as the starting-point was not drawn but by a few.
One of the most capital points of the programme - the influence of modern arts upon school-tuition - was hardly dealt with.
The exhibition: much convention, much limitation by form, residium of past decades. The unconventional results are mere exceptions.
As to something positive one could record: certain names, certain schools, without being able to register any of them as characteristical for the countries in question.

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Het zwaartepunt van het congres lag bij de opvoeders.
Het congres eischte in een algemeene resolutie, dat het teekenonderwijs, als de basis voor het handwerk acht moet slaan op de eigenaardige samenstelling van de stof. De consequentie, het materiaal als uitgangspunt te nemen werd door slechts weinigen getrokken. Een der belangrijkste punten, die op het programma stonden, - de invloed der moderne kunst op het onderwijs in de scholen, - werd nauwelijks aangeroerd. De tentoonstelling: veel conventie, veel gebondenheid aan den vorm van vroegere eeuwen; waar de resultaten niet conventioneel zijn, zijn het uitzonderingen.
Positief resultaat: bepaalde namen, bepaalde scholen zonder dat men ze als karakteristiek kon beschouwen voor de betrokken landen.

sachliche zusammenkünfte, tagungen, kongresse gab es viele in den letzten jahren; mit dem ergebnis, dass viele der teilnehmer kongressmüde wurden, weil der apparat, die vorbereitungen, die kosten gewaltig, - der praktische erfolg dagegen gering waren.

diese müdigkeit war möglicherweise berechtigt vom standpunkte des direkten nutzeffekts.

der massstab des direkten nutzeffekts ist jedoch unzureichend. am wenigsten zureichend da, wo die allermenschlichsten dinge: kunst, erziehung, kunsterziehung, erziehungskunst auf dem programm stehen. das programm selbst überhaupt viel weniger wichtig als das factum, dass es vorhanden ist, dass menschen sich in gemeinsamer internationaler arbeit darum bemüht haben.

kongress ist monatelange vorbereitung, sammlung, gemeinsames reiseziel, treffpunkt mit unbekannten freunden, sichtbarmachung von zusammenhängen, beziehung-herstellen zwischen den kontinenten, zwischen den ländern, zwischen den temperamenten, zwischen den individuen.

so ist die tatsache eines kongresses schon positiv.

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diese grundsätzliche bejahung soll vorausgesagt sein einer kritik des ablaufs und der einzelheiten.

 

die société anonyme hatte mir die aufgabe gestellt, einen bericht vom europäischen gesichtspunkt zu schreiben.

darunter verstehe ich: die punkte herauszuheben, die dem heutigen europäer von bedeutung scheinen. dazwischen wird hin und wieder die eigene meinung hervortreten.

einen bericht über das gesamte kongressprogramm zu geben, ist fysisch unmöglich gewesen, da oft 2-3 veranstaltungen zu gleicher zeit stattfanden. dazu kam, dass aus technischen und andern gründen das programm nicht immer eingehalten werden konnte.

die hauptpunkte des programms waren:

die beziehung zwischen zeichnen und handarbeit (handwerk).

der einfluss der modernen kunstbestrebungen auf den zeichenunterricht.

grafische wiedergabe der bewegung.

die kunsterziehung an den fach- und kunstschulen. abhängigkeit der zeichnerischen begabung des kindes von ethnischen bedingungen.

die farbe und ihre bedeutung für schule und leben

 

schriften und reden waren viersprachig; auch die geselligkeit war viersprachig. das war erschwerung einerseits, farbigkeit andrerseits. das problem weltsprache tauchte auf, wurde bejaht oder abgelehnt - je nach bewertung der sachlichen verständigung oder des persönlichen ausdrucks.

die eröffnungsreden über ‘die kulturelle bedeutung der kunsterziehung’ wurden in französischer, englischer und deutscher sprache gehalten.

mr. alfons mucha, maler aus zbirov bei prag, sprach vom standpunkt des künstlers,

mr. i.t. ewen, scottish education department vom standpunkt der allgemeinen erziehung,

dr. von pechmann, bayrisches nationalmuseum münchen abteilung für gewerbekunst (departement for industrial art) vom standpunk der volkswirtschaft,

mit dem ausgangspunkt, dass ‘ein jeder bedeutende aufschwung des gewerbes zu allen zeiten nur möglich gewesen sei in engstem kontakt mit dem künstlerischen leben der zeit.

‘beispiel colberts, der als französischer finanzund handelsminister die gewerbe frankreichs zu einer sich jahrhunderte lang auswirkenden blüte brachte, nicht in erster linie durch kluge verwaltungsmassnalimen und merkantile zollpolitik, sondern entscheidend durch sein unmittelbares persönliches verhältnis zum gegenstand, seine leidenschaftliche bemühung um künstlerische fragen.
beispiel henry cole's, der durch die ausbreitung des zeichenunterrichts in england auf den geschmack und das verständnis weiter konsumentenschichten einwirkte.
beispiel aus deutschland: 19. jahrhundert - zusammenwirken des staatsmannes beuth mit dem künstler schinkel. - 20. jahrhundert: die künstlerisch-gewerbliche bewegung der gegenwart; werkbünde in deutschland und anderen ländern. trotzdem werden auch heute noch erschrekkend grosse mengen an material und arbeitskraft für die erzeugung von gegenständen vergeudet, die unwahr und unschön sind. - ursache: die gegenwart beschäftigt sich viel mit dem ding, aber wenig mit dem menschen. wichtigstes ziel: den menschen zu bilden, der ehrlich, innerlich frei, unverbogen ist.’

damit war der schwerzpunkt des kongresses den erziehern in die hand gelegt.

noch jetzt, im jahre 1928 zeigt es sich deutlich, dass der kampf um die wahre lebendigkeit der kunsterziehung noch nicht abgeschlossen ist.

in den beschlüssen des gesamtkongresses wurde das zeichnen im kunstunterricht als ‘mehr oder minder zeitvertreib’ (‘drawing a pastime in art-education more or less’) abgetan.

das zeichnen als unterrichtsfach zur erfüllung ganz bestimmter greifbarer zwecke wurde in der resolution mit grösserem ernst behandelt, es wurde gefordert, dass der zeichenlehrer nicht nur fachausbildung haben, sondern auch in handwerk, volkswirtschaft usw. gebildet sein soll, um die erziehungszusammenhänge zu beherrschen. - vergessen wurde, dass der erzieher, der lehrer, auch der zeichenlehrer vor allem eine weltanschauung haben, eine persönlichkeit sein muss. erst dann hat er die fôhigkeit, den unterricht, auch den fachunterricht, als menschliche funktion innerhalb des lebensablaufs zu gestalten.

weiter wurde, - immer vom kongress als gesamtresolution -, gefordert, dass der zeichenunterricht als entwerfende basis für das handwerk die materialbedingungen des werkstoffes berücksichtigen müsse, die letzte konsequenz: das material zum ausgangspunkt zu nehmen, wurde vom kongress als gesamtheit nicht gezogen; wohl aber von einzelnen.

so von dem inspektor des zeichenunterrichts an den mittelschulen wiens, der forderte: ‘der entwurf hat im material selbst zu liegen.’

und am deutlichsten von bauhaus dessau. referent: josef albers.

überzeugende darstellung der bauhaus-lehre als weg zur materialkenntnis und materialerkenntnis; erkenntnis der eigenen kraft und verwendung der eigenen kraft.

die bauhauslehre beginnt nicht mit fachunterricht, sondern auf experimentelle art, die wie spiel aussieht, aber ernst genug ist. erstaunliche entdeckungen werden dabei im material gëmacht (leistungssteigerung, neue verwendungsmöglichkeiten, aktivierung des materials usw.).

und wunderbar ist der werdegang jedes schülers, dem einmal die entdeckerfreude anfgegangen ist. und auch fruchtbar für die danu folgende facharbeit, die entdeckung und ökonomische einsicht aufbanend verwendet.

die bedeutung gelehrter methoden wird nicht verneint, sie wird anerkannt zur erarbeitung von einsicht, nicht aber als weg zu schöpferischer erziehung.

die ausgestellten arbeitsprodukte aus den lehrgängen: albers, kandinsky, klee, joost schmidt, schlemmer verdeutlichen die bauhauslehre in bester weise, man kann förmlich in den eigenen nerven nachfühlen,

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wie das material abgetastet, untersucht, beschaut, zerlegt, ineinander und aneinander-gefügt wird - wie der mensch sich dem willen des materials anpasst, und es dann - zu menschlicher auswertung - sich wieder unterordnet.

auf dem gleichen prinzip gründet sich die produktion des bauhauses an gebranchsgegenständen; dabei eindeutige bejahung und einbeziehung der maschinenarbeit. zusammenarbeit mit der industrie, soweit die industrie heute schon die wichtigkeit einer solchen zusammenarbeit erkannt hat.

bestrebungen, wie sie in amerika von mr. richard bach (abt. für industrial art, metropolitan museum, new-york city) propagiert werden, mr. bach sprach in prag die these aus:

‘the use of beauty and the beauty of use’ um zu betonen, dass schönheit und nützlichkeit (zweckmässigkeit) einander nicht auszuschliessen brauchen, sondern in ein neues verhältnis zueinander getreten sind: dass sie eine einheit - und mehr als eine einheit - eine identität sein können.

eine zusammenarbeit der schulen mit der industrie ist zu wünschen; zu warnen ist aber vor einer gänzlichen finanziellen abhängigkeit soldier schulen von der industrie.179

grundsätzlich ist das problem klar, organisatorisch ist es noch nicht restlos geläst.

 

interessant und wesentlich wäre gewesen, nachzuweisen, wieweit und in welcher weise die heutigen anschauungen über diese dinge und die praxis der heutigen ausbildung von den modernen künsten beeinflusst sind.

als programmpunkt vorgesehen, aber nicht erfüllt. referent verhindert, diskussion ohne basis - unbestimmtes tasten in der debatte, haften an einzelheiten. eine einzige stimme, die die unbestimmtheit durchbrach und das problem nannte: frau g.e. scheyer, eine deutsche, die seit vier jahren in san francisco lebt und in der anna-head-school in berkeley junge menschen von 3 bis 20 jahren unterrichtet.

(schluss folgt).



illustratie
ARCH. BRINKMAN & VAN DER VLUGT

TABAKSFABRIEK VAN NELLE - ROTTERDAM IN AANBOUW


179dieser satz hat besonderen bezug auf amerika.