Ernst Bloch
Notizen zum problem Strawinsky
Der Hausschlüssel. Man kann ihn auch zum Pfeifen gebrauchen. Er zeigt dann au, dass sich ein Zuhöver geärgert Kat. Wiisste man das nicht, so wäre der helle Ton eher freudig, zum Unterschied vom dumpfen Klatschen. Es beweist. dass im Pfeifenden etwas fährt, ja er spiegelt die Fahrtsignale einer Musik, die sich noch nicht gesetzt hat. Das ist oft besser als wenn der Burger klatscht und den Schlüssel in der Tasche lässt. Um immer nur die gleiche Tür zu seinen bekannten vier Wänden aufzuschliessen.
Strawinskys Petruschka. Ein Klang, den man seiner Kindheit schuldig ist. Dem Strennen auf dem Jahrmarkt, der roten Frende daran. Hier wird die Schuld von Strawinsky bezahlt: der Platz ist wieder da, mit Melodieen der Drehorgel, die heimatlos waren. Das Kind steht wieder zwischen zwei Karussels und der Bude von drüben, sodass die Orchestrions ineinander tönen. Und die Ballerina sieht genau aus wie man sich als Knabe das Weib vorstellte, hat auch diese Musik um sich. Und die sonderbare Süssigkeit der Drehorgelmelodie, dies überstark Gefêrbte, schmelzige sich Aussingen bis zum Rest. Italienische Ansichtskarten zeigen das manchmal, auch russische Lackarbeiten, aber sonst ist dieser Klang noch nicht alt. Sein Schmelz kam erst im neunzehnten Jahrhundert, als man die gewachsenen Farben verlor. An dieser Grenze spiegelt er sich, daher hat er sowohl Unechtes an sich wie die glänzende Wehmut, auch Zusammendrängung des Abschieds. Er fêrbt mit lauter Abendrot, auch wenn die Farben grün, gelb, blau, noch so lustig sind. Die Dichtung kennt das nur in der Kolportage, zuweilen; doch Schuberts Ave Maria gehört dentlich hierher und vieles an Verdi. Lebhaft, bunt, handfest und sonor geht Petruschka in den Schmelz, wo er am dicksten ist.
Geschichte vom Soldaten. Höchst merkwürdige Sache, viel geht durcheinander. Da wurde ein Fenster aufgestossen, wild und geschickt, mit einem Ulk an dem Granen ist. Frische Luft kam ins abgestandene Schöntun, in das schlechte Glätten und Fliessen. Kanaster dampft im Hoftheater, rauhe Traumbilder ziehen in seinem Rauch. Der Soldat Josef, vierzehn Tage Urlaub, wandert zwischen Chur und Walenstadt, gibt dem Teufel seine Geige. Nimmt ein Buch, das vorgeht: ‘Devisenkurse’ liest er (wie seltsam und glaubhaft das im Märchen klingt), Kurse, die noch nicht da sind; als Gast ist er beim Teufel, drei Tage, aber es sind drei Jahre, sein Mädchen geht zuhause verloren, niemand kennt mehr den Totgeglaubten, er liest in dem höllischen Buch, unselig, seelenlos, ohne Musik, es regnet Titel, Noten, Gold. Erschütternd die Szene, wie der Soldat dennoch den Teufel besiegt, durch einfache Schlauheit, die das menschliche Teil gegen das Böse ist: und sogleich wird das Theater hell, dem Orchester kommt ein Choral, sozusagen, so lumpig und kariös, aber er klingt wahrer, frömmer in diesem Augenblick als mancher 100. Psalm. Man kennt die Gewalt solcher Augenblicke vom Kasperletheater, wenn Hännesche den Teufel besiegt, oder aus atemraubender Kolportage, wenn Rettung kommt, der Freund, Bewaffnete, Licht. Und welche Szene! rings der Schnürboden, ein offener Hohlraum, in den die Jahrmarktsbühne gestellt ist (wir sind nicht in Leoncavallos Bajazzo). Links vorn eine Dorfkapelle, so hemdsärmlig als möglich, rechts vorn der Vorleser, der vom Soldaten berichtet, oft selber der Soldat wird und nuf dem Höhepunkt sein Freund ist wie alle. Das jämmerliche Theaterchen steht in der Mitte, sein Vorhang geht auf und zu, zeigt oft nur die Leinwände einer Moritat, dann Menschen unbeweglich, als Wachspuppe, dann handelnd, dann wieder in Pantomime: wie uns der Herr zum Tor hinaus treibt. So auch die Musik, ist nicht grundlos 1918 entstanden, hat das ganze abgerissene Leben von damals in den Knochen. Der Rhythmus ist durchlöchert, die Musik Impressionismus aus lauter Fetzen und Verdrangtem, eine Kreuzung von Abschaum und Gärung, eine Hefen-Musik im beständig doppelten Wertsinn. Ohne die Geschichte vom Soldaten wäre eine ‘Dreigroschenoper’ kaum denkbar; er schlug dem musikalischen Mimus die Tür auf. Von Petruschka ist der Jahrmarkt auf die Landstrasse gewandert; da marschiert nun der
Klang, der um Affenkästen und Zauberbuden war, abgerissen und burschikos, spielt seinen Hungertraum um das Märchen von Ramuz.
Oedipus Rex. Desto erstaunlicher dieses Werk, so stählern und vornehm. Der Bogen zwischen der Lumpenmusik des Soldaten und Oedipus ist ungeheuer. Jede Spur von Flackern, Atmosphäre, Durcheinander, Impressionismus ist verschwunden. Die Instrumentierung ist scharf hintereinander abgesetzt, Verschmelzung, gar erotisch-romantische Schwüle völlig vermieden. Geschlossene Sätze, der minitiöse wie der Gesamtbau unerhört präzis, hart, gerammt; eine Musik, die nicht fliesst, sondern schlägt. Immer gleichsam an Ort und Stelle schlägt; das gilt für Melos wie Rhythmus wie schliesslich die statische Szene. Starr sitzender Chor, Oedipus und Jokaste in archaischer Haltung, musikalischer Blockeinheit; Figuren, an denen sich ihr Schicksal unentrinnbar aufspulte und abläuft. Ja, auch dieses Maschinenwesen ist an der Musik, dem nicht ohne Grund deterministischen Stoff, den sie setzt. Schon früh hatte Strawinsky maschinelle Neigungen, sein ‘Concertino’ fand er erst richtig gespielt, als ‘es lief wie eine Nähmaschine’, als mithin Spieler und Stimmen nur Funktionäre eines Maschinengeistes waren. Dieses Klangkonstruktive, mit ‘Psychologie’ weder davor noch dahinter, findet sich auch im Oedipus; als musikalische Schicksalsmaschine gleichsam, in Beton eingeschraubt. Oder von Marmor ummauert; der ist zwar reich geädert, von italienischen Windungen (im Gesang der Jokaste), von altrussischen Vokalisen (im Gesang des Oedipus und Teiresias). Aber die Kühle und Starre hebt sich auch hier nicht auf, die Architektur lässt kein unkontrolliertes Blühen mehr frei. Diese Starre ist nicht nur ein Tribut an die französische ‘Kultur’, die auch die Maschine klassizistisch macht, weil sie ein Produkt der ‘Ratio’ ist, und den Beton reaktionär poliert, weil er ruht. Sondern in der Tat geht von der Präzision ein Weg nach mythologischer Kühle, nach einer Art von klassizistischem Byzanz; hier ist ihn Strawinsky gegangen. Ebenso ist der klassische Stoff, zu dem diese Musik ihre Gegenstandsbeziehung hat, keineswegs bloss zeitfremd. Nicht einmal die Balletmusik zu ‘Apollon musagète’, die dem Oedipus nachfolgte, ist Gobelin-Antike, Louis quatorze als Bürgerkönigtum. Sondern in der zwielichtenen Zeit gehen tatsächlich griechische ‘Bilder’ und ‘Schemen’ um, in Frankreich deutlicher als bei uns, obwohl Nietzsche das Zeichen gab. Ein Meter hinter der Zivilisation geht es spätantik, ja zuweilen ‘griechisch’ zu; Epheben sind auf der Strasse, Dionysos ist schon lange kein gelehrter Name mehr, französische Autoren lassen Hermeshaftes durch Bahnhöfe schimmern, Psychopompos im geringsten Detail von Abfahrt, Joyce reisst Ulysses durch einen Tag in Dublin. Das sind nicht nur Angelegenheiten einer Maske oder auch Form, keine frostigen Allegorieen wie in der klassizistischen Zeit, nicht einmal Symbole, sondern gerade in vielem Bliek auf die Welt scheinen griechische Revenants umzugehen, antikische Aura, die schwach, aber unverkennbar, nicht unecht und jedenfalls seltsam ist. Auch die Musik zu Oedipus hat Hörraum für Antikes; und eben für Antikes, das nicht mehr in einer ‘Kultur’, ‘Tradition’, sondern in jetzigen Hohlraum mit erscheint, in der Camera obscura dieser Zeit.
Problem Strawinsky. Die Rede kann hier nicht Ja, ja, Nein, nein heissen. Sondern Strawinsky ist Front, an der der Kampf geht. Auch ein Stück Morgendämmerung, mindestens Zwielicht, in dem man leicht Freund und Feind verwechselt. Traurig, dass das Publikum, das an die Opernfront kommt, so viel schlechter ist als das der Schauspiele. Die Oper ist ein Vergnügen des Mittelstands, der schreit, wenn geschossen wird, oder der satten Repräsentation. Fühlende, Wissende fehlen; als würden die Entscheidungen der Zeit nicht auch hier geschlagen. Ist das ein Unglück für die Oper, ja die Musik überhaupt, und für jeden Dirigenten, der nicht Gewohntes spendet (wir denken hier an Klemperer in Berlin, der Strawinsky zu seiner Sache machte, scharf, fanatisch, streng gelockert, transparent und unbegriffen), so besteht das Problem Strawinsky freilich auch an sich.
Gibt es Kunstgewerbe in Petruschka, Raffinement des ‘Nichtgekonnten’ in der Geschichte vom Soldaten? Vielleicht ist Strawinsky zu leicht, auch zu früh statisch, vielleicht verwaltet er wirklich, zuweilen, ‘Dynamitattentate und Lebensver-
sicherung in gleicher Regie, auf die gleiche Police’ (Wiesengrund). Vielleicht ist seine Gegenstandsbeziehung, wie sie so jäh zwischen Jahrmarkt und Griechenland wechselt, wirklich nicht die tiefste oder die jetzt genauest mögliche. Vielleicht wird ein neuer Wettersinn, auch neues Pathos (das ja vor der Tür steht) an Schönberg, ja an den verdrängten Mahler genaueren Anschluss finden. Vielleicht ist Strawinskys Musik zwar einzigartig ‘an Ort und Stelle’; doch das braucht nicht der konkreteste Ort, unsere wirkliche Stelle zu sein. ‘Sie bleibt Todeszanber, die Musik, und dem ossianischen Wesen benachbart, dem Regen, Herbst und der tiefen Freudigkeit des früh hereinbrechenden Dunkels, dem trüben Himmel und den schweren Wolken, dem Nebel und den Helden, die auf der einsamen Heide reiten und denen die Geister in Wolkengestalt erscheinen, nicht anders wie sie Bach und Wagner erschienen sind - der Himmelsrichtung zugewendet, in der diese Welt ausgeht und untergeht’. Vielleicht haben diese Worte Geltung, wo immer nur die abstrakte Zeit überschritten wird und - gerade an der beherrschten neuen Form - die Transparenz der Musik wieder erscheint; aller Musik, nicht nur der romantischen. Leicht möglich, sehr wünschbar, dennoch geht auch dieser Weg nicht an Strawinsky vorüber, an der einzigen Musik, die heute schlägt. Altes, wie es war. kehrt nicht wieder, nur in gänzlich anderer Gestalt, in einer Schöpfung, an der nichts Altes mehr ist. ‘Man soll zu dem, das man besitzt, nicht das Besessene fügen wollen’, sagt der Sprecher in der Geschichte vom Soldaten, vorm letzten Bild. Das ist sehr wahr, im Leben wie im Werk; bunt, scharf oder griechisch - in Strawinsky schlägt immerhin die genaueste westeuropäische Zeit, und bricht er in die Vergangenheit ein, dann nicht romantisch, sondern plündernd. Er produziert, was russisches Volkslied, griechische Götter, Louis quatorze im Maschinenzeitalter sind, was sie diesem zu sagen haben.