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MECHANISCHE FANTASIE
FOTO: F. BRUGUIÈRE, NEW YORK


L. Moholy-Nagy
Die beispiellose Fotografie

Het fotografische procede is zonder weerga ten opzichte van de bekende optische uitdrukkingsmiddelen. Het is ook weergaloos in zijn resultaten daar, waar het op eigen mogelijkheden steunt, reeds alleen de oneindig fijne nuances in de variaties van licht en donker, die het fenomeen licht in vrijwel onstoffelijke uitstraling tot gestalte brengen, zouden voldoende zijn om een nieuwe manier van zien, van optische functie te bewerkstelligen.
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Le procédé photographique est sans égal par rapport aux moyens de reproduction optique connus. Il est également sans pareil dans ses résultats, du fait que - où il s'étaye sur ses propres facultés - à elles seules déjà les nuances infiniment tendres dans les varietés de clair et de foncé qu'en un rayonnement virtuellement immatériel, le phénomène de la lumière rend en figure, suffiraient à réaliser une nouvelle manière de voir d'action optique.
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The photographical process is without parallel in respect of the known means of optical expression. It is also unparalleled in its results since, where it supports its own possibilities only the unending fine nuances in the variations of light and dark which the phenomen light in al most immaterial emanation brings to shape should be enough to realize a new manner of seeing optical activity.

alle erläuterungen über wege und ziele der fotografie wurden bisher auf ein falsches geleise geschoben. immer wurde als wesentlichste frage aus der fülle der überlegungsmöglichkeiten das verhältnis der fotografie zur kunst herausgehoben.

 

die tatsache fotografie erfährt aber keine wertung, indem sie entweder als notierverfahren der realität oder als mittel wissenschaftlicher forschung, oder als fixierung entschwindender begebnisse, oder als basis von reproduktionsverfahren, oder als ‘kunst’ klassifiziert wird.

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MECHANISCHE FANTASIE
FOTO
CH. RUDOLPH, DRESDEN.


das fotografische verfahren ist beispiellos gegenüber den bisher bekannten optischen ausdrucksmitteln. es ist auch beispiellos in seinen ergebnissen: da, wo es sich auf die eigenen möglichkeiten stützt. schon allein die unendlich feinen abstufungen in den hell-dunkel variationen, die das fenomen licht in fast immateriell wirkender strahlung zur gestalt bringen, würden genügen, eine neue art des sehens, der optischen wirksamkeit, aufzurichten.

 

aber in dem fotografischen verfahren liegt unendlich viel mehr.

bei der heutigen fotografischen arbeit kommt es zunächst nur darauf an, aus der eigengesetzlichkeit der mittel ein entsprechendes verfahren herauszufinden: erst dann, wenn eine einigermassen exakte sprache des fotografischen entwickelt ist, wird der wirklich begabte sie zu ‘kunst’ steigern können. die erste bedingung dazu ist: keine anlehnung an tradi-

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FOTO MUNKACSY, BUDAPEST
MECHANISCHE FANTASIE


tionelle darstellungsweisen! die fotografie hat das nicht nötig! keine frühere oder heutige malerei vermag der einzigartigen wirkungsmöglichkeit der fotografie standzuhalten. wozu die ‘malerischen’ vergleiche? warum rembrandt - oder picasso - nachahmungen?

 

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man kann ohne utopische schwärmerei sagen, dass in der allernächsten zeit eine grosse umwertung der fotografischen zielsetzungen durchgeführt wird. die untersuchung ist schon, wenn auch oft auf getrennten wegen, im gange:

 

a)bewusste verwertung der hell-dunkel-verhältnisse (quantität).
b)aktivität der helligkeit, passivität des dunkels (qualität).
c)verwertung der textur von stoffen, der struktur (faktur) verschiedener materialien.
d)verhältnisumkehrungen: positiv-negativ.
e)unbekannte formen der darstellung.
f)einschaltung grösster kontraste in form, lage, richtung und bewegung.

 

die zu untersuchenden gebiete lassen sich auf grund der aufzählbaren elemente des fotografischen verfahrens feststellen:

 

1)ungewohnte sichten durch schrägstellung, aufwärts- und abwärts-fotografieren.
2)versuche mit verschiedenen linsensystemen; gegenüber unsern augenerlebnissen ein verhältnis-veränderndes, unter umständen bis ins ‘unkenntliche’ verzerrendes verfahren. (konkav- und konvex-spiegel, lachkabinettaufnahmen usw. waren die ersten vorstufen dazu.) damit entsteht das paradoxon: die mechanische fantasie.
3)umklammerung des objekts (weiterführung der stereoaufnahmen auf einer platte).
4)neue arten der kamera-konstruktion. vermeidung der perspektive.
5)übernahme der röntgen-erfahrungen in die fotografie in bezug auf perspektivelosigkeit und durchdringung.
6)kamera-lose aufnahmen durch belichtung der fotografischen schicht.
7)wahre farbenempfindlichkeit.

erst das alle beziehungsmöglichkeiten vereinende werk, die synthese dieser elemente, wird einmal als die wahre fotografie erkannt werden.

 

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die entwicklungstendenz der fotografie bekommt starke impulse durch die heute schon an vielen stellen sehr gepflegte lichtkultur.

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dieses jahrhundert gehört dem licht, die fotografie ist die erste form der lichtgestaltung, wenn auch in transponierter und - vielleicht gerade dadurch - fast abstrahierter gestalt.

der film geht darin noch weiter - wie man überhaupt sagen kann, dass die fotografie ihren höhepunkt im film erreicht. die erschliessung einer neuen dimension des optischen setzt der film in potenzierter weise durch.

wechselnde lichtintensitäten und lichttempi. bewegungsvariationen des raumes durch licht. erlöschen und aufblitzen des ganzen bewegungsorganismus. auslösen latenter funktionsgeladenheit unseres organismus, unseres gehirns. lichtgreifbarkeit. lichtbewegung. lichtferne und lichtnähe. durchdringende und aufbauende strahlung: stärkste optische erlebnisse, die dem menschen zuteil werden können.

 

die in der statischen fotografie geleisteten vorarbeiten sind für einen entwickelten filmischen zustand unentbehrlich. eine merkwürdige wechselwirkung: der meister geht in die schule seines lehrlings. ein reziprokes laboratorium: die fotografie als untersuchungsgebiet für den film; und der film als förderer und anreger der fotografie.



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FOTO KEIJSTON VIEW CO., LONDON
MECHANISCHE FANTASIE