Ernst Kallai
Antwort
Die Äusserungen zu meinem Aufsatz ‘Malerei und Photographie’ sind zumeist wertvolle Ergänzungen, die ganz in der Richtung meiner eigenen Ansicht liegen. Ich kann Ausführungen von Willy Baumeister, Burchartz, Grohmann, Kassák, Mondrian und Georg Muche fast restlos beipflichten. Die einzige Bemerkung, die ich an Burchartz und Kassák richten möchte, ist die, dass mir eine vergleichende Wertung der Malerei und Photographie durchaus fern lag. Ich verkenne keineswegs die künstlerisch-vollwertigen Gestaltungsmöglichkeiten der Photographie. Ich behaupte nur, dass sie anders geartet sind wie jene der Malerei. Mein Aufsatz ist ein Versuch, diesem offenkundigen Wesensunterschied zwischen Malerei und Photographie auf den Grund zu gehen. Dabei habe ich es absichtlich vermieden, auch die subjektiven Momente, die weltanschaulichen und psychologischen Zusammenhänge zu erörtern. Nicht als ob ich die formbestimmende Wesentlichkeit dieser Momente ignorieren wollte. Es ist ohne weiteres klar, dass bereits die stoffliche Wahl: Pigment oder Licht, aus einem bestimmten Gerichtetsein der schöpferischen Veranlagung heraus erfolgt (Moholy-Nagy!). Aber auf dieses psychische Primat einzugehen, würde das Aufrollen eines geistesgeschichtlichen Problems von solcher Breite und Kompliziertheit bedeutet haben, dass seine Erörterung im Rahmen eines Aufsatzes unmöglich gewesen wäre. Es war einfacher, das Problem von der anderen Seite anzufassen und die Fragestellung auf die bereits zur Sache gewordene Gestaltung zu richten.
Worin liegt der Unterschied zwischen einer, dem subjektiven Gestaltungsprozess bereits volkommen entwachsenen Form der Malerei und einer Photographie? Auch hierbei habe ich den Fall grösster gegenseitiger formaler Annäherung ins Auge gefasst. Was ist der optische Sachunterschied zwischen Naturaufnahme und Naturmalerei, selbst wenn diese gegenständlich aufs engste und kleinlichste gebunden erscheint?
Ich fand, dass dieser optische Sachunterschied zunächst ein Fakturunterschied sei, so gewiss er auch in der Folge zu den mannigfaltigsten Erweiterungen getrieben werden kann. Ich gebe zu: im Bestreben, das Tastbare der malerischen Faktur als eine vitale Eigenart zu schildern, die der Photographie nicht gegeben ist, habe ich es versäumt, auf das lichtbestimmte Wesen der photographischen Faktur näher einzugehen. Mir sind dabei verschiedentlich Formulierungen unterlaufen, die aus dem Zusammenhang des ganzen Artikels herausgegriffen, den Anschein erwecken konnten, als spräche ich der Photographie überhaupt jede Faktur ab. Dies wäre freilich Unsinn. Schon die nackte Existenz sozusagen, die Tatsache, dass eine Photographie irgendwie hergestellt, gemacht wurde, bedeutet so viel, dass sie eine Faktur hat. Sie muss doch die Zeichen ihrer Entstehung auf der Bildfläche tragen. Es kommt aber auf die Besonderheit dieser fakturellen Zeichen an, auf den Unterschied zwischen malerischer und photographischer Faktur.
Behne formuliert ihn ganz richtig: ‘Pinselfaktur einerseits....Lichtfaktur anderseits.’ - Nun, mein ganzer Aufsatz läuft im Wesentlichen auf dieselbe Gegenüberstellung hinaus. Er enthält eigentlich nichts anderes, als eine breitere Entwicklung dieser Formel, die meinem Gedankengang gewissermassen als latenter Grundriss unterlegt ist. Allerdings habe ich den Ausbau dieses Gedankenganges etwas einseitig behandelt. Ich habe nur die Eigenheiten der malerischen Faktur positiv dargestellt und bei der photographischen Faktur mich damit begnügt, festzustellen, an welchen Eigenschaften es ihr ermangle. Indessen finden sich auch bei dieser Einschränkung noch Stellen genug, wo das Lichtbestimmte der photographischen Faktur betont wird. Wie dem auch sei, so viel steht jedenfalls fest. dass die malerische Faktur als Pinselfaktur eine Tastfaktur ist. Ich behaupte nun, dass aus dieser Tatsache für die optische Besonderheit, für die ganze spezifische Augenvitalität
FOTO MOHOLY-NAGY
NEGATIV 1927
der Malerei entscheidende Folgen erwachsen. Folgen, die man bei dem wesentlich anders gearteten Grunde, bei der photographischen Lichtfaktur nämlich, vergeblich suchen würde. Dass nicht der Stoff, sondern der Künstler das Werk ‘macht’, dieser an sich richtige Hinweis Mondrians bedarf natürlich keiner weiteren Erörterung. Aber Stoffe haben ihre lebendigen Eigenheiten und die schöpferische Arbeit des Künstlers besteht eben darin, aus dieser Eigenheit heraus zu gestalten, nicht etwa gegen sie.
Dass die Faktur nicht Selbstzweck ist, sondern lediglich Mittel, um einer Vision stoffliche Gestalt zu verleihen: diese Feststellung Behnes ist eine Binsenwahrheit, gegen die sich in meinen Aufsatz wohl kaum ein Verstoss finden lassen wird. Ebenso wahr ist aber auch, dass die Faktur kein Neutrum ist, das bei jeder Art von Malstoffen und bei jedem Stil die gleiche Beschaffenheit hat. Im Vergleich zur Faktur Holbeins ist eine impressionistische Faktur gewiss vordringlich. Ist sie darum etwa zum Selbstzweck geworden? Es ist klar, dass Faktur, wie es Dr. Behne zu bemerken für nötig hält, dem Ganzen unterordnet werden muss. Die Bildordnung, die der Künstler geistig vor sich hat, bestimmt den Materialisierungsprozess, d.h: die Art, wie der Stoff gesetzt und zwar in einer ganz bestimmten Ordnung auf die Malfläche gesetzt wird. Das Ergebnis dieses stofflichen Ordnens ist zugleich Faktur und Form, je nachdem, nach welcher Seite hin man die Schicht von Malstoff auf der Bildfläche ins Auge fasst. Gewiss hatte Leibl seinen guten Grund, das eine oder andere seiner Bilder zu zerschneiden, trotzdem es, wie bei ihm selbstverständlich, schöne Faktur hatte, d.h. handwerklich schön war. Aber das Ganze in solch einem Bild hat er wohl doch nicht gerade über die Fakturschönheit verfehlt, sondern einfach darum, weil seine Bildvorstellung nicht genügend klar und überlegt war.
Faktur plus Ordnung gleich Bild: diese Formel Behnes stimmt schon, mit der Bemerkung jedoch, dass auch die Faktur kein chaotischer Rohstoff mehr, sondern geordneter Stoff ist. Wie könnte sie sonst eine geordnete Farben- und Formvorstellung erregen? Fakturordnung plus Farben- und Formordnung: zumindest diese Erweiterung ist nötig, um der Formel Behnes die entsprechende Fassungskraft zu verleihen.
Behne kommt zu einer Folgerung, die ich seiner Meinung nach aus der Überwertung ziehen müsste, mit der ich Faktur und Handwerk angeblich betrachte. Auf Grund meiner Ausführungen, meint Behne, gehörte ein Bild von Mondrian mit der ersten besten ölübermalten Kitschphotographie zusammen, da beide Faktur haben. Behne vermeint hier etwas Unrichtiges in meinem Aufsatze ad absurdum zu führen. Die angeblich widersinnige Zusammenkoppelung Mondrians mit der kitschigen Oelübermalung erweist sich jedoch beim näheren Zusehen als eine zwar falsch adressierte, aber an sich durchaus richtige Selbstverständlichkeit. Warum sollen Mondrian und der Übermalungskitsch nicht zusammengehören? Ihre Verbindung wäre nur dann widersinnig, wenn man Qualität und Schund wahllos in einen Topf werfen wollte. Behne meint jedoch, ich müsste die Zusammengehörigkeit Mondrians und des Kitscheurs auf Grund ihrer Faktur behaupten, da ja beide Faktur hätten, mir aber die Faktur Hauptsache sei. Nun, ob Hauptsache oder nicht, das spielt hier keine Rolle. Tatsächlich aber gehören alle Bilder mit Pinselfaktur zur Malerei, ganz gleich wie wertvoll oder wie schlecht sie sind. Das Gleiche gilt von den Stilwandlungen. Was die verschiedensten Stilperioden der Malerei auch sonst noch gemeinsam haben, derart, dass solch unendlich verschiedene Künstler wie Duccio und Kandinsky etwa, gleicherweise Maler genannt werden können, mag diesmal dahingestellt bleiben. Jedenfalls ist die Tatsache der Pinselfaktur hier wie dort ein grundlegender Gemeinschaftszug. Aus meiner Überwertung der Faktur, meint Behne noch folgern zu können, müste sich auch ergeben, das eine photographische Reproduktion nach Mondrian und eine Amateuraufnahme aus dem Wannseebad zusammengehören, da beide fakturlos sind. Auch dieser Vorstoss trifft daneben. Natürlich gehören Photographien zusammen, ganz gleich was sie darstellen. Alle Photos sind Lichtbilder. Alle Photos haben den gemeinsamen Zug, Lichtfakturen zu sein. Das freilich, was den Gegenstand betrifft, eine photographische Repro-
duktion nach Mondrian etwas anderes ist wie eine Naturaufnahme: diese schwierige Feststellung liegt wohl ausserhalb unseres Problems.
Man muss die eigene Lichtfaktur einer Reproduktion trennen von jener Gemäldefaktur, die mit den photographischen Mitteln illusionistisch abgebildet wurde. Wollte man diese Illusion der Stofflichkeit des abgebildeten Gegenstandes als Faktur nehmen, dann wäre freilich die photographische Faktur allen Tastwerten der Malerei überlegen. Es handelt sich aber bei unserer Fragestellung nicht um die gegenständliche und stoffliche Spiegelungsfähigkeit der photographischen Lichtfaktur, sondern um das Problem, worin sich die Gestaltungsmöglichkeiten dieser Faktur von der malerischen Faktur unterscheiden.
Aus den Tastwerten der malerischen Faktur folgt ihre Fähigkeit einer eigenen stofflichen Ausdruckskraft, mit der alle anderen Bildmomente, ob darstellerischer oder ungegenständlicher Art, sozusagen multipliziert werden. Diese Tastwerte sind zugleich die reale Verklammerung, die das Moment der Flächenspannung aufs äusserste steigern und erhärten können. Vor allem aber spielt sich in der tastbaren stofflichen Fakturablagerung jene Form des Prozesses von schöpferischer Verwirklichung ab, der für die Malerei grundbezeichnend ist. Die Lichtfaktur der Photographie ist zu einer Gestaltung in diesem Sinne ungeeignet. Ihre Möglichkeiten sind anderer Art. Es wäre falsch, aus einer empfindsamen Liebe zum malerischen Handwerk die künstlerischen Möglichkeiten der Photographie ignorieren zu wollen. Diese Art von ‘Enthusiasmus’ liegt mir durchaus fern.
Aber eben so unangebracht ist auch jene doktrinäre Technomanie, die vermeint, das Handwerk in Bausch und Bogen ablehnen zu können. Das Handwerk ist ein Mittel, ein Behelf zur schöpferischen Auseinandersetzung zwischen Mensch und Natur, Mensch und Geist. Man kann die besonderen schöpferischen Erlebnismöglichkeiten des malerischen Handwerks nicht mit der Photographie ersetzen, und noch viel weniger ‘fortschrittlich verbessern.’ Dagegen vermag diese sehr wohl Gestaltungsmittel einer neuen Weltempfindung zu sein, zumal als bewegliches Lichtbild. Was ich am Schlusse meines Artikels über den Film gesagt habe, war in diesem Sinne gemeint. Es handelt sich nicht um die geistige und künstlerische Kompetenz der Malerei. Aus Kandinskys diesbezüglichen Äusserungen scheint mir vorzugehen, dass er meinen Aufsatz missverstanden hat. Ich habe von der sozialen Unwirksamkeit der Malerei und von der ungeheuren Popularitât des Films gesprochen. Dieser bedeutsame und beziehungsreiche Unterschied zwischen der Wirksamkeit der beiden Kunstsphären ist doch für jeden unbefangenen Beobachter offenkundig. Dabei steckt der ganze Film noch in Kinderschuhen und ist zudem fast wehrlos den übelsten geschäftlichen Spekulationen ausgeliefert.
Angesichts des grundlegenden Wesensunterschiedes, der die Lichtfaktur und ihre verschiedenen Gestaltungsmöglichkeiten, vor allem aber den Film von der Malerei trennt, schrumpfen die von den dogmatischen Vertretern der beiden Lagern so eifrig verfochtenen Gegensätze zwischen gegenständlicher und abstrakter Malerei fast zu einem nichts zusammen. So lange die Malerei eine Gestaltung vermittels Pinselfaktur bzw. Tastfaktur bleibt, sind auch ihre extremsten Gegensätze nur Abweichungen, nicht aber Wesensunterschiede. Vom Staffeleibild bis zum Wandmosaik und Mauerbild, von traditionalistischen Akademikern bis zur absoluten Malerei und den Konstruktivisten gehört alles in eine Front. Das wirklich gründsätzlich Neue steht auf der anderen Seite und heisst: Photographie und Film.