Diskussion über ernst kallai's artikel ‘Malerei und Fotografie’
Willi Baumeister:
Rousseau malte eine Landschaft, in der Telegrafenmasten mit weissen Isolatoren sichtbar sind. Solche Utensilien fand bis dahin kein Malerauge brauchbar. Er dagegen war ohne Sentimentalität, real, wahrheitsliebender als alle seine Kollegen von der Landschaft. Seine Bilder ähnelten sogar Fotografien und trotzdem waren sie zugleich abstrakter.
Die Quantität seines Naturalismus war gross, die Quantität seiner Abstraktion klein, aber dafür war diese an Qualität intensiv. Die Maler der synthetischen Richtung haben sich inzwischen der Abstraktion zugewandt. Die völlige Negation der Naturnachbildung wurde erstrebt und damit die Wahrheit der Gestaltung an sich, der Mittel und Stoffe erreicht. Fotografie als Gestaltungsmittel und Neonaturalismus möchten ähnliche Verhältnisse wie bei Rousseau aufweisen, wo mit einem grossen Quantum Naturalismus ein kleines aber intensives Quantum Abstraktion das Werk bildet. Der Fotografie gelingt es. Die sogen. ‘Sachlichkeit’ weist diese günstigen Verhältnisse nicht auf. Die Resultate der ‘Sachlichkeit’ bleiben vage Bildungen. Ihr literarischer sozialpolitischer Wert bleibt anerkannt.
Stuttgart, 28 April 1927.
Adolf Behne:
Kallai vergleicht eine Landschaft von Courbet mit einer beliebigen Landschafts-Photographie und findet....mit Recht....einen Unterschied. Er definiert ihn so: die Landschaft von Courbet hat eine Faktur, die Photographie nicht, und er verallgemeinert diese (schon anfechtbare) Behauptung zu dem Satze: Malerei und Photographie sind wesentlich und eigentlich unterschieden durch das Vorhandensein hier, das Fehlen der Faktur dort. Er kommt so zu dem Schluss, dass die konstruktivistische Malerei, die nur geringen Wert auf Faktur lege (was übrigens kaum stimmt), sich in Photographie zu verwandeln drohe....ein Vorwurf, den man sonst eher krassen Naturalisten gemacht hat.
Kallai geht methodisch falsch vor. Die Landschaft Courbets hat ja nicht nur Faktur, sondern auch einen Rahmen, d.h. sie ist auch....und zwar entscheidend....Ordnung einer gegebenen Fläche. Die beliebige Landschaftsphotographie ist das nicht. (Wo sie Ansätze zu einer Ordnung enthält, kommen sie aus derselben Quelle wie die Ordnung Courbets, haben also nichts mit der Photographie als solcher zu tun). Will Kallai auf die eine Seite einen Courbet stellen (handwerkliche Faktur plus Ordnung), so müsste er auf die andere Seite eine Arbeit stellen, die mechanische Faktur plus Ordnung ist. (Denn tatsächlich hat die Photographie auch eine Faktur....nur eine technische an Stelle der handwerklichen, so wie etwa der maschienmässig hergestellte Metallbecher auch eine Factur hat, nur eben keine individuelle-handwerkliche). Als einen Ansatz zu: ‘mechanische Faktur plus Ordnung’ nennt Kallai selbst die Photo-Montage, und er muss hier konstatieren, dass bei ihr nur ‘noch ein Rest von Widerspruch besteht. (Dass ein solcher Rest noch da ist, scheint sehr verständlich, da die Photographie um das ihr eigene besondere Ordnungsgezetz noch kämpft).
Will Kallai das Ordnungsmoment bei der Photographie ausschalten, so muss er das auch bei der Malerei tun, wenn der Vergleich ein brauchbares Resultat bringen soll. Er müsste dann den Vergleich so formulieren: Pinsel-Faktur einerseits....Licht-Faktur andererseits. Vielleicht käme er dann doch zu anderen Ergebnissen.
Das Kennzeichnende der Arbeit Kallais ist ihr Enthusiasmus für die individuell-handwerkliche Pinsel-Arbeit. Ein Enthusiasmus, der ihn zu einer Verselbständigung der Faktur treibt. Kallai weist auf Leibl hin, dessen wundervolles Handwerk zu verfolgen freilich ein hoher
BLIK VOM PONT TRANSPORDEUR MARSEILLE
FOTO: Dr. S. GIEDION ZÜRICH
Genuss ist. Aber wann ist denn eine Faktur gut? Sie ist um so besser, je weniger virtuosenhaft sie ist, d.h. je weniger sie Selbstzweck wird....sie ist um so besser, je mehr sie dem Ganzen dient. Wie Leibl selbst über seine Fuktur urteilte, geht daraus hervor, dass er nicht wenige seiner handwerklich allervollkommensten Malereien zerschnitten hat, als er bemerkte, dass er über der Faktur-Schönheit das Ganze, das Bild, verfehlt und verloren hatte.
Die einseitige Ueberbewertung der Faktur müsste Kallai zu folgenden Konsequenzen führen: die Photographie nach einem Bildwerke Mondrians gehört zusammen mit einer Amateur-Photo aus Freibad Wannsee....denn beide entbehren der Faktur. Mit dem Bilde Mondrians zusammen gehört die ölübermalte Photographie aus dem Atelier Arthur Fischer, Berlin, Passage....denn beide haben Faktur.
Berlin-Chbg. 26 April 1927.
Max Burchartz:
dank den leistungen der ‘elementar-gestaltenden’ ist auch die bedeutung und der wert fototechnischer darstellungsmöglichkeiten weiten kreisen bewusst geworden.
heute ist es nicht mehr nötig diese verfahren zu verteidigen. die angriffe verstummen. der versuche auch auf diesem gebiete alle technischen möglichkeiten auszuwerten, zeigen sich - mit gutem oder minderem erfolg - tag um tag viele neue.
mit der häufigkeit ihres vorkommens wird sich die fähigkeit ausbilden auch hier wertigkeit und können von affender stumperei zu unterscheiden.
ob die fototechnischen gestaltungsmöglichkeiten der ‘malerei’ unter-oder überlegen seien ist eine falsche fragestellung, sofern sie eine grundsätzlich wertende bestimmung verlangt. ein ofen und ein grammofon lassen sich auch nicht als werte vergleichen.
für weite gebiete der gestaltung ist die fotografie der malerei überlegen, aber ihr bleiben möglichkeiten versagt, die der malerei eigen sind.
dass ein neues wertvolles gestaltungsmittel neuerobert wurde ist ein gewinn.
dass der wert rationaler bedächtigkeit erneut als forderung allen gestaltens gestellt wurde ist die bedeutendste tat ‘elementarer gestalter’ indes besteht vielleicht die gefahr, dass durch abstellung des einen heute sehr offenbaren mangels durch überbetonung auf der kehrseite ein neuer entsteht. der kaum bewusste drang ungehemmter bewegungsäusserung wird unterdrückt, oft genug deutlich verworfen. aber er ist nicht aus dem vollwertigen leben zu streichen - bildet eine seite, die auch in der elementaren gestaltung notwendig in rechnung gestellt sein will.
die forderung der ‘faktur’ ist ausdruck der not, die diese seite gestaltender arbeit entbehrt. bei untersuchung von faktur und fototechnik bleibt zu beachten, dass gerade feinstes und letztes kräftespiel von ‘faktur’ durch fototechnische verfahren offenbar gemacht werden kann. man beachte die mikrofotografischen autnahmen etwa von handschriftenproben und wird zugeben müssen, dass gerade hier neue gebiete elementarer gestaltungsmöglichkeiten noch offen liegen.
Essen, 30 April, 1927.
Will Grohmann:
Wenn die Mittel der Mitteilung für die Hervorbringung eines Kunstwerks irrelevant sind und nur das Resultat gilt, so dürfte bei aller Verschiedenheit der Anfangs- und Endpunkte in der Malerei und Photographie für eine kleine Schnittfläche der sich schneidenden Kreise Kunst und Photographie identisch sein. Eine Selbstverständlichkeit, dass dadurch keine Gleichsetzung der gestaltenden und reproduzierenden Kunst erfolgt, zumal der in Frage kommende Teil der Photographie, das Photogramm, im Grunde nur das Ergebnis schöpferischer Vorgestaltung abbildet und sein mehr oder weniger künstlerischer Effekt durch Komposition, Lichtdifferenzierung und intuitiv gewollte Zufälligkeit die Werte der Faktur zu ersetzen in der Lage ist. Die sogenannte ‘künstlerische’ Photographie scheidet von selbst als unlautere Wettbewerberin aus der Diskussion aus, da sie auch in der Anwendung ihrer raffiniertesten Mittel nur erstreben kann, was okular bedingte freie Gestaltung als Möglichkeiten subjektiv betonten Abbildens verwirklicht hat. (Impressionistische Natur- und Bildnisaufnahmen). Dass ihr Wert gelegentlich grösser sein kan als der gewisser akademischer Formulierungen ist ebenso klar wie die Tatsache, dass wir uns bei diesem Niveauabstieg von der Grundfrage entfernen und in das Gebiet des Geschmacks und der Mode geraten.
FOTOCONSTRUCTION
CO-OP: 1926/1
KOTENPAAR
FOTO RENGER-PATSCH
Für breitere Kreise des mit Kunst sich befassenden Publikums befriedigt allerdings die dem Kunstwerk nacheifernde Photographie das Bedürfnis nach Darstellung in vollem Masse, zumal es zu 80% mit Reproduktionen lebt und für Fakturwerte unempfänglich ist. Die Gleichung von Kunst und Photographie ist ihm ebenso einleuchtend wie die von Kunst und Natur, die Überschwemmung mit Photos aber lässt es die Kunst immer mehr an der technisch optischen Reproduktion kontrollieren und drängt es weiter von der Kunst ab. Im Photogramm wird es dieselbe Willkür sehen wie in der abstrakten Kunst, und so bleiben die Chancen für Malerei und Photogramm angewiesen auf den kleinen Teil derer, die freie Gestaltung als solche in jeder Verkleidung erkennen und im Abbild das sehen was es ist, Technik.
Dresden-Blasewitz, 1 Mai 1927.
Kandinsky:
In den Fragen ‘Malerei und Photographie’ herrscht noch viel unklares, was die Jugend dieser Fragen vollkommen erklärlich macht. Ausschliesslich das enorm gesteigerte Tempo unserer Zeit macht solche unreife Fragen, wie z.B. die Frage ‘Malerei oder Film?’, möglich und diskutabel. In den kurzen, mir zur Verfügung gestellten Zeilen möchte ich speziell diese überaus komplizierte Frage nur von einem Standpunkt betrachten und nämlich vom Standpunkt, den Herr Kallai in den Vordergrund stellt.
Wenn Herr Kallai die Behauptung aufstellt, dass ‘wir an der Grenze zwischen einer gesellschaftlich wirkungslos gewordenen statischen Kultur und einer neuen kinetischen Gestaltung unseres Weltbildes’ stehen, so darf wohl dazu bemerkt werden, dass die kinetische
Kraft z.B. eines ‘Staffeleibildes’ nicht in der Unbeweglichkeit dieses Bildes auf der Wand oder sonst wo besteht, sondern in der zeitlichen Art der ‘Ausstrahlung’, oder der Wirkung dieses Gemäldes auf den Menschen, also im zeitlichen ‘Erleben’ zu suchen ist. Heute stehen wir in Wirklichkeit vielmehr vor der theoretischen Frage, mit welchen Mitteln das Element der Zeit im Gemälde auszumessen wäre. Der Unterschied zwischen Malerei (genauer gesagt ‘Staffeleimalerei’) und dem Film, den Herr Kallai vertritt, wäre nicht anders, als rein relativ zu verstenen: die Verwendung der ‘Zeit’ auf beiden Gebieten weist keine Unterschiede im Wesen dieser Verwendung auf.
Ich kann mich nicht von noch einer Bemerkung enthalten. Gerade heute werden die verworrenen Blicke der ‘Abendländer’ oft (viellecht viel zu oft) dem ‘Morgenland’ zugewendet. Nicht selten wird dort die ‘Rettung’ gesucht. Meiner Meinung nach könnten wir, die in den ‘Abendlöndern’ leben, eine typische Eigenschaft des ‘Orients’ zu uns herüberholen - die Fähigkeit der Konzentration, die in erster Linie mit Statik verbunden ist.
So lange wir unsere Fragen ausschliesslich auf der Basis des ‘oder’ stellen, kommen wir aus der Psychologie der gestrigen Vergangenheit nicht heraus. Was gewinnt die Menschheit, die uns alle heute besonders interessiert, wenn sie sich in ‘Statiker’ und ‘Kinetiker’ teilt, die einander und von einander nichts hören wollen?
Man soll mir nicht mit der Erwiderung kommen, dass die Postkutsche vom D-Zug verdrängt wurde und dass der D-Zug bald vom Flugzeug verdrängt wird. In jeder illustrierten Zeitung und nicht selten in den Strassen sehen wir Menschen, die...laufen. Dieselben Menschen laufen nicht immer. Manchmal fahren sie auch mit der Bahn - je nach dem. Entscheidend ist dabei der Zweck und die damit verbundene Art der Bewegung.
Ich finde jede Einseitigkeit gefährlich. Und jedes konsequente Springen immer auf einem und demselben Bein würde unumgänglich zur ständigen Lähmung des anderen Beines führen.
Die Natur sorgt aber für den Menschen und hat ihn mit zwei Augen versehen damit er nicht nur flach, sondern auch tief sehen kann.
Dessau, 2 Mai 1927.
Ludwig Kassak:
Wenn wir die Ähnlichkeiten bzw. die Unterschiede zwischen Malerei und Photographie nicht nur in ihren technischen Methoden und ihren äusseren Erscheinungen aufzeigen wollen - müssen wir auf das eigentliche Wesen dieser beiden Erscheinungen zurückgreifen. Wenn wir uns klar machen, dass die Malerei das höchste Resultat und der individuelle Ausdruck der menschlichen Kulturentwicklung ist, die Photographie hingegen, aus der zivilisatorischen neuen Epoche geboren, in erster Reihe ein technisches Resultat und ein streng an das Material gebundener Vorgang ist - so steht vor uns eindeutig der endgültige Unterschied zwischen Malerei und Photographie, und es wird überflüssig zum Schaden des einen von den Vorteilen des anderen zu sprechen. Die Malerei ist die Kunst des Kultur-Individuums. Von einem gewissen Punkt ab kann auch die Photographie eine produktive Darstellung sein, aber infolge des Bestrebens nach Exaktheit und Objektivität kann sie niemals Kunst im klassischen Sinne des Wortes werden. Infolge dieser gegebenen Gesetzmässigkeit wäre es ein Fehler, auf Grund eines Vergleichs Schlüsse zu ziehen. Die beiden Erscheinungen haben, abgesehen davon, dass beide aus dem Sehen geboren und dessen Objektivierung sind, nichts gemein. Wo die eine stirbt, fängt das Leben der anderen an. Die Vollkommenheit der einen determiniert die zisellierte fähige Schöpfungsgabe des Menschen, die andere die Entwicklung der Technik. Der Maler malt das was er sieht, der Photograph fixiert das was sein Apparat sieht. Wenn die Malerei ein genaues Ebenbild einer Sache geben will, hört sie auf Kunst zu sein; die Vollkommenheit der Photographie aber besteht gerade darin, dass sie das exakte Spiegelbild der photographierten Dinge gibt. Daraus folgt: wenn wir die Malerei als illustrierende Kunst betrachten, bleibt
sie in ihrer Genauigkeit weit hinter der illustrierenden Fähigkeit der Photographie zurück. Betrachten wir ein Portrait von Holbein oder Picasso, so sehen wir sofort wie der subjektive Individualismus der Maler das gegebene Thema komponiert oder dekomponiert - solche Unterschiede kan es bei der photographischen Aufnahme wenn es sich nicht direkt um einen bewussten technischen Trick handelt, überhaupt nicht geben. Das Auge des Malers hat subjektives, die Linse des Aufnahmeapparates ist objektives Sehvermögen. Dieses objektive Sehen und das antipsychische Wesen des Aufnahmeapparates stellen die Photographie, in unsrer Zeit, wo wir nach Kollektivität und nach strengen Konstruktionen streben, über die Malerei. Und nicht nur über die naturalistische Malerei der Vergangenheit, sondern auch über die neuerdings forcierte Malerei, im Sinne der ‘Neuen Sachlichkeit’. Ich kann hier auf die Grundfehler der ‘Neuen Sachlichkeit’ nicht eingehen. Tatsächlich aber ist neben der Leistungsfähigkeit des Aufnahmeapparates die mit Affendrüsen geimpfte neue Richtung der Malerei, nicht anderes als Herumquälerei von Menschen, die ihre Fähigkeiten besser verwenden könnten. Selbst wenn wir die Malerei, nicht als illustrative sondern als absolute Malerei betrachten, können wir feststellen, dass die produktive Richtung der Photographie, die reine Lichtgestaltung, nicht aus dem künstlerischen Gesichtspunkt sondern aus dem der objektiven Darstellung, nicht hinter jener zurückbleibt.
Ich betone nochmals: die vergleichende Wertung der Malerei und Photographie ist sowohl vom technischen wie vom psychischen Standpunkt unhaltbar.
Die Malerei als Kunst ist der Ausdruck der Kultur, die Photographie ist ein Repräsentant der Zivilisation. Und gegenüber der absoluten Malerei zeigen die Licht- und Schattenkompositionen der produktiven Photographie potenziert die exakte Reinheit und aesthetische Grossartigkeit der produktiven Schöpfung.
Budapest, 26 April 1927.
Aus dem Ungarischen von Eman Fedja Freiberg.
LYONEL FEINIGER
FOTO: LUX FEINIGER
‘MECHANISCHE FANTASIE’
FOTO: PEER BUCKING
Moholy-Nagy:
die art des herstellungsprozesses zeigt sich am fertigen objekt. wie er sich zeigt, nennen wir faktur. es wäre verfehlt, faktur nur das zu nennen, was als abtastbare oberfläche vorliegt, nur deswegen weil die früheren manuellen techniken meist gleichzeitig einen tastwert darstellten.
aber eben weil für mich faktur nicht gleich tastwert ist, bleibt die problemstellung in dem artikel von ernst kallai für mich gegenstandslos. ich sehe darin vielmehr eine umkleidung eines versuchs zur rettung der manuellen, darstellerischen malerei.
gegen darstellung ist nichts einzuwenden. sie ist eine mitteilungsform, die millionen angeht. die optische darstellung kann heute mit beispielloser exaktheit von fotografie und film geleistet werden. manuelle verfahren kommen gegen diese techniken nicht auf. auch nicht, sogar am allerwenigsten durch ihre fakturwerte. denn: wenn faktur selbstzweck geworden ist, ist sie gleich ornament.
damit soll nicht gesagt sein, dass die jetzige form der abstrakten, also nicht darstellerischen malerei als bindende basis für alle zeiten proklamiert wird. sie ist vorläufig viel weniger; ein von grosser intensität erfülltes tasten nach den im biologischen begründeten elementen eines optischen ausdrucks, der uns eindeutiger und aufrichtiger spiegeln soll als eine tausendmal wiedergekaute äusserungsform.
ebenso die fotografie. auch sie soll - was heute erst forderung ist - in ihrer primären wahrheit verwendet werden. der fanatische eifer mit dem heute das fotografieren in allen kreisen betrieben wird, deutet darauf hin, dass der fotografie-unkundige der analfabet der zukunft sein wird. die fotografie wird in der nächsten periode ein unterrichtsfach wie heute das a b c und einmaleins sein. alle wünsche heutiger fotografischer gurmets werden dann zur selbstverständlichkeit, wenn nicht automatischen leistung.
darüber hinaus hat - trotz aller vorurteile - die fotografie ihre berechtigung nicht nur als reproduktive technik, denn sie hat schon heute zu produktiven leistungen geführt. sie
lehrt uns in den möglichkeiten des hell-dunkels eine verfeinerung der mittelverwendung. durch einen chemischen prozess bilden sich die feinsten tonabstufungen in einer homogenen schicht. das grobkörnige pigment verschwindet, es entsteht die lichtfaktur.
‘MECHANISCHE FANTASIE’
FOTO: PEER BUCKING
mit dieser schwarz - weiss - wirkung der fotografischen schicht - auch ohne darstellung - (fotogramme) - hat man reiche resultate erzielt. es wird auch in der farbigen gestaltung ähnlich kommen müssen. die errungenschaften der farbenchemiker, die entdeckungen der fysiker: mit polarisation und interferenzerscheinungen, mit subtraktiven mischungen des lichts zu arbeiten werden unsere mittelalterlichen malmethoden ablösen.
das bedeutet nicht, dass eine malerisch-manuelle betätigung heute oder in der zukunft verdammt werden soll. auch das, was die früheren zeiten ‘beseelte’, kann paedagogisches instrument zur entwicklung einer verinnerlichung werden. aber das erkennen bezw. wiederfinden eines aus biologischen faktoren sich entwickelnden und dadurch selbstverständlichen ausdrucks darf nicht als besondere leistung hingestellt werden.116 der persönliche entwicklungsweg eines individuums, das alle schon dagewesenen optischen aktionsformen nach und nach selbstschöpferisch wiederfindet, kann nicht zum zwang für die entwickelteren, für die allgemeinheit werden.
die ‘schicksalsfrage’ ist meiner meinung nach nicht: ‘malerei oder film’, sondern: das anpacken der optischen gestaltung an allen heute berechtigten ecken und enden. das sind heute fotografie und film, wie abstrakte malerei und farbiges lichtspiel.
‘MECHANISCHE FANTASIE’
FOTO: PEER BUCKING
die neue generation, die nicht soviel abzustreifen hat wie wir: sentiment und tradition, wird aus dem so gestellten problem ihren nutzen ziehen.
dessau, 26.4.27.
Mondrian:
Bienque je sois pour une grande partie d'accord avec les intéressantes observations sur la ‘peinture et la photographie’ de mr. Ernst Kallai, il me semble nécessaire de ne pas perdre de vue que c'est ‘l'artiste’ et non pas ‘le moyen’ qui creëe l'oeuvre d'art.
Certainement le moyen est de grande importance et il est étroitement lié avec l'expression plastique d'une oeuvre mais c'est l'artiste qui décide de son essence qu'elle est purement plastique et non imitative.
Néanmoins, il me paraît que le caractère de la photographie soit plutôt imitatif que plastique. La photographie dans le sens usuel est le moyen approprié pour la reproduction de l'objectivité, et tout art est création.
Mais à présent il est difficile de déterminer l'évolution de la photographie - en effet, de tels efforts ont déjà été réalisés sur le terrain de la plastique pure, que nous pouvons tout espérer de la photographie. Il est bien possible que la technique de la photographie se change, comme la technique de la peinture s'est changée et les comparaisons et observations de mr. Ernst Kallai peuvent aider à y arriver.
Paris, 26 Avril '27.
Georg Muche:
400 billionen schwingungsunterschiede von 400-800 billionen schwingungen in der sekunde vermag das menschliche auge als licht- und farberscheinung wahrzunehmen.
die fotografisch verwendbare lichtempfindliche substanz reagiert chemisch auf ein weit grösseres intervall. diese grössere leistung kann dem auge übermittelt werden, aber immer nur nach übersetzung in die durch die aufnahmefähigkeit des auges begrenzte skala. insofern können die optischen eindrücke durch die ‘prachtvolle maschine’ kamera nicht bereichert werden. die polarität schwarz-weiss, die begrenzung rot-violett bleibt unüberschaubar bestehen. der fotografische prozess kann sein vollkommeneres funktionsergebnis dem auge nicht übermitteln.
aber innerhalb dieser begrenzung gibt das durch die kamera im moment fixierte bild dem menschen den eindruck einer erscheinung - der ihm ohne kamera nie bekannt würde. die fotografie geht über die manuellen, durch den tastsinn vollzogenen reproduktionsverfahren der zeichnung und malerei weit hinaus. die zwischenschaltung des hochwertigen reproduktionsmittels - der kamera - steigert den effekt und mechanisiert die methode. die durch chemische prozesse hervorgerufene hell-dunkel teilung der lichtempfindlichen fläche ist ausserordentlich reich an feinsten nüancierungen. diese wunderbar dosierten übergänge können sowohl mit dem kameralosen fotogramm als auch mit der fotografischen aufnahme zu effekten gesteigert werden, denen gegenüber die handwerkliche anwendung der malerischen und zeichnerischen mittel plump erscheint.
die malerei ist ein primitives handwerk - gewiss - aber sie erfasst und beherrscht sämtliche stofflich gebundenen farb-licht erscheinungen, die das auge aufzunehmen vermag. darüber hinaus macht die enge verbindung von gesichts- und tastsinn bei dem produktionsvorgang es möglich, die subjektiven - im auge entstehenden - erscheinungen zu empfinden und spontan zu verwerten. das auge ist das den licht und farbeindruck produzierende organ. die sublimiertesten, für die nachhaltig wirksame gestaltung bedeutsamsten werte - die komplementär und simultan kontraste - werden durch das primitive handwerk erfasst. für die kamera sind sie nicht wahrnehmbar.
so verschieden fotografie und malerei also in bezug auf die methode, die instrumente und materialien sind, so verschieden sind sie auch in bezug auf den künstlerischen wert. lediglich der effekt ist ähnlich und er verleitet zur kontroverse malerei? - fotografie!
- fotografie? - malerei! -
und damit zum wesentlichen:
als reproduktionstechnik ist die malerei unzulänglich im vergleich mit der fotografie. das gemalte bild erhält die berechtigung seiner existenz ausschliesslich durch werte, die künstlerischer natur sind. als ein mittel zu künstlerischer gestaltung ist die malerei nach wie vor von wunderbarer geeignetheit, weil die beziehung von absicht und darstellung als wechselwirkung von auge und tastsinn in ihrer proportionalen verbundenheit so eminent ‘richtig’ ist. die zwischenschaltung der kamera und das ausschalten des tastsinns hebt diese günstige spannung zum vorteil des mechanischen effektes - zum schaden der subjektiven schöpferischen idee auf. die mischung von zufall und absicht, von automatischen ablauf chemisch-physikalischer vorgänge und schöpferischer zielsetzung ist nicht mehr in ordnung. die formel für die schöpferische leistung stimmt nicht mehr. ausserdem setzt sowohl fotografie als auch fotogram das bereits irgendwie wirksam gestaltete objekt voraus. fotografie und fotogram sind sekundäre gebilde, bei denen das blose überraschungsmoment allerdings gross ist. die begeisterung für die fotografie sollte jedoch nicht in die überschätzung fotografischer effekte ausarten. aber eines macht die fotografie besonders wertvoll. die möglichkeit zur objektiven erfassung der natur. diese grossartige leistung der kamera ist besonders für die wissenschaftliche und technische forschung von grösster bedeutung. das subjekt wird bei der wahrnehmung durch die kamera ausgeschaltet. die bewusst unkünstlerische, präzis und ohne täuschung aufgenommene fotografie ist die ‘neue sachlichkeit’. die neue sachlichkeit in der malerei ist die kleinbürgerliche reaktion auf die mutige entwicklung der malerei vom impressionismus bis zur reinen, abstrakten gestaltung. es gibt keine sachlichkeit, keine objektive ausdeutung der natur durch die malerei, denn diese scheinbare objektivität ist immer die objektivität des subjekts.
dessau, 28 april 1927.
CARL BUCHHEISTER
KOMPOSITION
GLEICHSEITIGES DREIECK