Kurt Schwitters
Stuttgart, die Wohnung
Werkbundausstellung

Der Volk wil glauben, and the man of Geist will see, will sehen, will reisen om to see. Dieses Wort von Rosenberg passt auf die Stuttgarter Ausstellung ‘Die Wohnung’ 1927. Der Volk, der glauben wil, das sind in diesem Falle die Laien, die zwar nicht viel von Architektur verstehen, aber gern glauben, dass die Ausstellung der Stadt Stuttgart, ‘ihre’ Ausstellung, gut ist, die grosse Reden halten, etwa ‘Wenn auch....so....’ Denn keine der vielen offiziellen Reden ist frei von dem Unterton: ‘Man kann zwar darüber reden oder denken, wie man will,...aber....’ Sie fühlen es zwar, dass da eine Tat getan ist, aber sie begreifen es einfach nicht, warum. Nicht das Resultat der Ausstellung und der Siedlung überzeugt sie, sondern die Tatsache, dass the men of Geist gereist gekommen ist, om to see. Denn zu der Eröffnung sind sie alle gekommen, die man immer wieder bei solchen Gelegenheiten trifft. Und Herr Werner Gräff hatte ja auch eine geradezu aufregende Propaganda für die Ausstellung unter the men of Geist entwickelt, die den Volk in aller Herren Ländern glauben machen sollte.

Aber ich denke, die Behörden in Stuttgart und Württemberg, kommen mir vor, als wären sie Hühnerglucken, die falsche Eier ausgebrütet haben, und nun stehen sie am Ufer des Teichs und sehen mit Stolz und mit Grauen, wie die Entenküchlein, die sie aber doch für Ihre Kinder ansehen, weit hinaus auf die Wasserfläche schwimmen, wo sie ihnen nicht folgen können. Ein schönes Bild, was? Und die Hühnerglucke ruft und lockt die Wasserkinder, wenn auch vergeblich. Hier in Stuttgart beim officiellen Diner aber macht sich die Opposition am Tische der Behörden Luft, indem der betagte Vertreter der Universität Tübingen in seiner Eigenschaft als ‘Heimatschutzmann,’ wie er sich selbst nennt, erwähnt, dass doch Stuttgart nicht in Holland oder Californien läge, deshalb gehörte auch das flache Dach nicht hierher. Für ihn scheint das flache Dach bei Häusern das zu sein, was beim Menschen die Plattfüsse sind, denn er nennt es plattes Dach. Zum Schluss wurde dann der Herr Schutzmann auch verhindert, noch mehr Plattheiten über das platte Dach hervorzubringen, weil doch diese platte Diskussion nicht auf der Tagesordnung stand, indem die meisten Mitesser so laut redeten, dass ihn niemand mehr verstehen konnte. Ein besonders frecher Mitesser mit einem ovalen Gesicht, sagte sogar: ‘Danach ist der Mann ja garnicht gefragt,’ was allgemeine Heiterkeit erweckte. Wie officielle Essen eben so sind. Aber finden Sie es nicht auch selbstverständlich, dass so ein alter Professor sich doch nicht von heute auf morgen an die neue Zeit gewöhnen kann? Dazu ist doch wohl die kurze Spanne von 1918 bis 1927 nicht lang genug. Und wenn da einer an die 60 Jahre hat gut wandern können und bekommt nun plötzlich Plattfüsse, der kauft sich eben Einlagen. Und dass dieses eine Einlage war, merkte man daran, dass alle Nachredner den üblen Eindruck zu vertuschen suchten. Und das möchte ich hiermit auch getan haben Meine Mutter pflegt immer zu sagen: ‘Wie die Kinder, sie wollen es garnicht, und mit

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einem Male sagen sie eine grosse, grosse Dummheit.’ Ich habe dann mit Herrn Mies van der Rohe angestossen, weil der mir so leid tat, dass er nun keine ‘platten’ Dächer mehr bauen darf, aber der hat sich furchtbar schnell damit abgefunden und hat über das ganze Gesicht dazu gelacht. Ich habe ihn lange nicht so lachen sehen.

Aber Sie wollen wissen, weshalb ich Ihnen das alles erzähle. Ja, das hängt damit zusammen, dass aus diesem Geiste heraus die Ausstellung und die ganze Weissenhofsiedlung geboren ist.

Viele reden, wenn Sie von Wirtteberg schpreche von de Creischschewahn. Und wenn ein Berlina oder Herr Westheim selbst die Rede mit angchört hätte, dass wir Stuttgarter in Schtuggert dies alles geschaffen haben, weil wir doch eben so gut, wie die Berliner etwas gutes Neues hinstellen können, und weil wir einen gut Schäbischen Dickkopf hätten, der hätte vielleicht nur den Rauscheschebaart gesehen, wie Berlina eben so sind. Aber mit Unrecht. Denn es ist eine grosse Beweglichkeit in dem Vulke der Wirtteberger. Wollte Cott, dass wir in Hannover nicht den Typhusbazillus gehabt hätten, sondern einen Mann wie Bazille, der Schirmherr der Ausstellung, dann hätten wir vielleicht einmal auch eine gute Ausstellung zustandebringen können. Denn die Ausschtellung ist wirklich mischtergiltig, und die Siedlung, wenn auch problematisch, eine groschsche Tat. Die Auswahl der Fotos aus der Entwicklung der internationalen Architektur durch Herrn Architekt Ludwig Hilberseimer ist wirklich umfassend, und die Gruppierung instruktiv. Wenn ich einer der vielen Vorredner wäre, so würde ich sagen, dass Herrn Hilberscheimer Dank gebührte, denn alle Reden endeten damit, dass irgend jemand Dank gebührte. Ich war denn auch in einer so dankbaren Stimmung, dass ich allen Leuten gegenüber dankbar war, die da in Stuttgart herumliefen, weil ich nicht unterscheiden konnte, wem alles der Dank gebührte. Und nun die Siedlung Weissenhof.

‘Dank’ für Gruppierung der ganzen Siedlung gebührt Miesch van der Rohe. ‘Er hat es meischterhaft verschtanden....’ um in Geischte desch Vorrednersch zu schpreche, der Gesamtplan dem Gelände anzupassen. Lage und Grösse der Häuser hat Mies van der Rohe bestimmt. Die einzelnen Architekten haben von ihrem Beschten dasch Beschte gegeben. Trotzdem bleibt es eine Kateridee, dass man soviele prominente Vorkämpfer der Architektur und Werkbundmitglieder unserer Zeit so in unmittelbarer Nähe neben einander je ein Haus bauen lässt. Das muss uneinheitlich werden, unbesehen. Obgleich jeder den Anderen nach Möglichkeit geschont hat. Als Ausstellung ist das Ganze ausserordentlich lehrreich, und ich brauche ja nicht dort oben zu wohnen. Ganz starke Persönlichkeiten wie Peter Behrens und Pölzig bauen hier aus lauter Höflichkeit gegen die Jungen plötzlich Häuser, die sie selbst nicht glauben, und die ich ihnen auch nicht glaube. Pölzig hat eine schöne italienische Villa aus dem neuen Stil gemacht, und Peter Behrens hat überhaupt keinen Charakter mehr, er ist allgemein modern. Schade. Wozu denn diese Verstellung? Behrens ist doch sehr wichtig für die ganze Entwicklung. Er war doch einer der bedeutendsten Vorkämpfer der neuen Architektur. Warum lässt er hier eine 25 prozentige Anleihe auf seine bisherige Bauweise eintragen? Wozu diese moderne Aufwertungshypothek? Glaubt er nicht mehr an sich selbst? Schade drum. Es wäre doch für den Betrachter viel interessanter, neben Mies, Oud, Gropius, Stam, Le Corbusier den wahren Behrens und den wahren Pölzig sehen zu können. So kann man doch nicht direkt vergleichen.

Man kann das überhaupt nicht ganz, denn die Herren haben alle ihre Aufgabe verschieden gelöst und sich mehr oder weniger an gegebene Richtlinien gehalten. Zum Beispiel hat Gropius als einziger neue Bauweisen ausprobiert, während die anderen in ihrer bekannten Bauweise mit oder ohne Anleihe gebaut haben. Der Versuch, sich mit neuen Materialien auseinanderzusetzen ist das Interessante an Gropius Hause. Auch haben nicht alle sich nach den Maassen des Planes ganz gerichtet, wie zum Beispiel Le Corbusier, der seine beiden Häuser viel zu gross gebaut hat und dadurch den Gesamteindruck sehr stört. Ueberhaupt ist Le Corbusier nicht ganz ungefährlich. Denn er ist ein genial begabter

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Architekt und dabei leider so romantisch eingestellt. Ich halte ihn für die gesunde Architektur für ebenso gefährlich, wie Dudok und De Klerk. Oder irre ich mich hier vielleicht? Vielleicht findet mancher diese imposanten Bauten von Le Corbusier fabelhaft. Aber der lässt sich verblüffen. Meine Grossmutter sagte immer, ‘Laat deck nich verblüffen!’ und das tue ich auch nicht. Ich wäge sine ira et studio ab, wenn da son verputzter Eisenbalken vor dem Fenster mitten im Zimmer steht, was soll das bedeuten? Ach so, das tut er, damit man von aussen eine ungeteilte Fensterreihe hat. Ist da ein prinzipieller Unterschied zwischen dieser Bauweise und dem Schlachthof von Dudok in Hilversum, der vorn Burg mit trutzigen Mauern und hinten Fabrik ist, weil doch irgendwo das Licht herkommen muss? Jetzt finden Sie weiter in dem Hause von Le Corbusier in einem Wohnraume durch eine halbe Wand abgetrennt eine Badewanne. Warum? Wegen der Wasserdämpfe? Ist das gesund oder ist es hygienisch? Ich sehe weiter und finde dicht daneben eine Klosetttür, die ins Zimmer mündet, und es wird mir klar, wegen des Geruchs. Der Hauptraum geht durch 2 Etagen. Warum? Wenn man heizt, ist es unten noch nicht warm, wenn man es oben vor Hitze schon nich mehr aushalten kann. Sollte das Haus wohl für ein südliches Klima gebaut sein, wo man nicht heizt? Und per Malheur steht es nun in Stuttgart. Schade drum, den ich frage mich, wieso. Für diese Idee sprechen auch die riesigen Balkone, die man bei dem Stuttgarter Klima selten benutzen kann. Sollte das Haus von Le Corbusier vielleicht das Klima in Stuttgart günstig beeinflussen und ändern können? Vielleicht durch geheime Gewalten? Oder ist es Romanticismus? Ich kenne mich da nur schwer aus. So macht man Natur. Aussicht ist Nebensache, denn im Hauptraume des Einfamilienhauses fehlt das Fenster an der Wand, die die beste Aussicht haben würde. Aber ich will nichts gesagt haben, denn ich weiss sehr wohl, wie grosse Verehrung gerade Le Corbusier geniesst, und dass man oft meint, unsere Deutschen Architekten hätten viel von ihm gelernt. Das kan man auch, man kann an dem Studium Le Corbusiers genau sehen, was falsch ist für Deutsche Verhältnisse.

Das Haus von Victor Bourgeois finde ich sehr durchdacht. Es ist hier nicht das Theater der Massen dafür ist es innen aber gut, wirklich gut! Wohnlichkeit, Berücksichtigung der Aussicht, der Wetterseite, Fenster meist nach Süden, guter Sitz der Fenster im Zimmer, gute Form der Zimmer.

Den Häusern von Oud merkt man es an, dass sie von einem erfahrenen Architekten gebaut sind, der vollkommen sicher arbeitet aus seiner Erfahrung heraus. Hier könnte man von allgemein funktioneller Architektur sprechen. Sein Ziel ist, mit den Mitteln der Architektur möglichst einfache und brauchbare Wohnungen zu schaffen.

Ich will nur nicht alle Archiekten einzeln erwähnen, das habe ich nicht nötig, weil ich dazu nicht verpflichtet bin.

Interessant ist, dass Rading sein ganzes Haus nur wegen der electrischen Lichtleitung gebaut hat. Aber die kommt auch wirklich erstklassig heraus. Sie sitzt immer auf kleinen Holzbrettchen, die immer etwa 5 cm von der Decke und Wand vorstehen. Das sieht tadellos aus. Hoffentlich macht diese Anregung Schule, dann haben wir bald in unseren Wohnungen auch jene schönen Oberleitungen, die unser Stadtbild so angenehm verzieren.

Sehr ehrlich wirkt das Haus von Hilberseimer. Es ist gründlich, normal und unphantastisch, das Gegenteil von Le Corbusier. Hier sind keine Badewannen im Zimmer und keine Balken vor den Fenstern. Wie sehr ich diese nüchterne Art schätze, sehen Sie daran, dass ich in meinem Apossverlag schon vor Jahren ein Heft von Hilberseimer: ‘Grosstadt-bauten’ verlegt habe.

Mies van der Rohe vereinigt Geist der Zeit und Format. Wat ist Format? Ein neues Schlagwort für Architekten. Maler können Qualität haben, Architekten Format. Format bedeutet Qualität in de Anschauung. Da kann ein ganz kleines Ding oft Format haben. Und dabei ist das Haus von Mies van der Rohe gross, das grösste der ganzen Siedlung. Und innen wirkt es riesig durch die bis zur Decke hochgezogenen Türen. Ich kann mir nicht denken.

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dass man durch diese Türen einfach gehen soll, sondern man schreitet hindurch. Grosse, edle Gestalten schreiten durch die Tären, voll neuen Geistes. Hoffentlich wenigstens. Es kann ja auch werden wie in den Frankfurter Siedlungen, wo die Leute mit ihren grünen Plüschsofas ankommen. Es kann vorkommen, dass nachher die Einwohner nicht so reif und frei sind wie ihre eigenen Türen. Aber hoffen wir, dass das Haus sie adelt.

Mart Stams Haus ist genial und hat Schwung. Ich meine hier nicht Schwung wie etwa das Dach einer Treppe bei einem anderen Hause Schwung hat, welches im Winter auch als Rodelbahn benutzt werden soll, ich meine mit Schwung das sichere Verwenden der Materialien zu einheitlicher und überzeugender Wirkung. Genialität ist Sicherheit im Arbeiten mit neuen Dingen. Kennen Sie den Stuhl von Mart Stam, der nur 2 Beine hat? Warum 4 Beine nehmen, wenn 2 ausreichen? In Stams Hause hängen von Ella Bergmann Michel Aquarelle.

Ausgestellt ist von May ein Bimsbetonplattenhaus. Warum auch nicht? Stuttgart ist von Frankfurt aus bequem auf dem Wasserwege zu erreichen, und es könnte leicht in diesem Material gesiedelt werden. Jedenfalls ist das Frankfurter Haus eine wesentliche Ergänzung der Werkbundsiedlung.

Ich war 6 Stunden unter den Häusern, habe meinen neuen Sommermantel mit frischer Ölfarbe eingeseift, wodurch ich mich nicht von den anderen Besuchern unterschied, habe Speise und Trank verweigert, weil es da oben sowiese nichts Reelles gab, und weil ich für das officielle Diner einen Platz lassen musste, und könnte Bände über die Siedlung schreiben. Aber ich tue es nicht, weil ich nicht verpflichtet bin, sondern empfehle es allen, hinzugehen. Sie haben sicher nicht so leicht wieder Gelegenheit etwas so Interessantes zusammen zu sehen. Ich empfehle Ihnen auch, machen Sie es wie ich und fahren Sie zurück in einem befreundeten Privatauto über Wildbad, Herrenalp, Badenbaden, Bruchsal, u.s.w. nach Hause, es ist eine nette Fahrt und ein guter Schluss, obgleich dieser Teil des Schwarzwaldes nicht der schönste ist. Bruchsal ist nach den Entwürfen von Taut angemalt, der auch in der Siedlung das bunteste Haus hat. Aber Mies van der Rohe hat es gut berechnet, dass das bunte Haus im Gesamtbilde gerade an der richtigen Stelle steht. Sonst ist Bruchsal mehr Rokoko als Taut.

Nun gebe ich nur noch eine wichtige Anregung, und zwar dem Verlage Ullstein: Möge sich der Verlag dazu entschliessen, zu der Architekturausstellung in Stuttgart 1000 Worte Schwäbisch herauszugeben, es würde den Genuss erhöhen und das Verständnis erleichtern.