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E.J. Gumbel
Landesverrat in Deutschland

Processen wegens hoog- en landverraad zijn tegenwoordig in Duitschland aan de orde van den dag. Terwijl vóór den oorlog deze processen betrekkelijk zelden waren - in de jaren van 1882-1913 bedroeg het gemiddelde voor al dergelijke delicten te zamen slechts 20 veroordeelingen per jaar - zijn deze in de laatste jaren geweldig toegenomen. Aantal veroordeelingen in 1919: 276; 1921: 111; 1923: 137 (aangeklaagd 1200); 1924: 516 (aangeklaagd 1081); 1925: 561. De gegevens voor 1926 zijn nog niet bekend, maar de getallen zijn zeker niet kleiner. Het aantal veroordeelingen in verhouding tot vóór den oorlog is niet minder dan vertwintigvoudigd. Meer nog dan deze toename op zichzelf is het de aard der tegenwoordige processen, die de aandacht vragen. Vóór den oorlog was de typische ‘landverrader’ doorgaans iemand met een niet uitermate hoog ontwikkelde moraliteit, die uit winstbejag een beroep uitoefende, dat de staat naar de algemeen heerschende en aanvaarde absolute moraal, zooals men weet, eenerzijds met tuchthuis of den dood bestraft, anderzijds met goud betaalt. De tegenwoordige hooge statistiek wordt echter niet daardoor veroorzaakt, dat de moreele gevolgen van den oorlog de criminaliteit in het algemeen hebben verhoogd, maar doordat deze een geheel nieuwe categorie van personen betreft.
Wegens berichten over de illegale, militaire, anti-republikeinsche organisaties, die - zooals uit de processen der Fehme-moordenaars onweerlegbaar bleek - in nauwe relatie met de republikeinsche rijksweerbaarheid staan en die minder een geheim van den staat dan wel een openlijke bedreiging voor deze zonderlinge republiek vormen, worden heden ten dage republikeinen, socialisten en demokraten beschuldigd en veroordeeld. Wegens berichten over de bij de wet verboden organisaties of verboden oorlogsfabricatie, ja zelfs wegens de verbreiding van onware berichten, vindt veroordeeling wegens landverraad plaats, ofschoon dit in strijd is met de bestaande wetten.
Het ontwerp voor het nieuwe strafwetboek behelst een verscherping der desbetreffende artikelen om zoodoende de reeds gevolgde praktijk te legaliseeren. Het beteekent een incarnatie van den geest der ‘Schwarze Reichswehr’ in de nieuwe strafwet, een vogelvrij verklaren van allen, die zich tegen de geheime oorlogsvoorbereiding kanten.
In dit artikel wijst de schrijver op de sociologische samenhangen, die de activiteit inzake landverraad in het ‘ontwapende’, ‘republikeinsche’ Duitschland mogen verklaren. De auteur is te dezer zake competent: reeds tot vier maal toe is tegen den statisticus der duitsche reactie een aanklacht wegens landverraad aanhangig gemaakt.
A.M.L.

Warum halten sich die Richter im heutigen Deutschland bei den Verurteilungen wegen Landesverrat und auch in anderen Fällen nicht an die ihnen als Grundlage dienenden Gesetze? Und warum sollen die Bestimmungen gegen den Landesverrat verschärft werden? Um dies zu verstehen, muss man sich zunächst über den Begriff der Gesetze klar werden.

Die Gesetze sind nicht freie Erzeugnisse des menschlichen Geistes, die sich dem ewigen

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klassenlosen Ideal der Gerechtigkeit in stets wachsender Verbesserung nähern. Ebensowenig sind sie Richtlinien, auf denen sich die Machtverhältnisse aufbauen. Sie sind vielmehr zeitbedingte Erzeugnisse der jeweiligen Herrschaftsverhältnisse und ihr Zweck ist, diese zu sichern. Damit steht nicht in Widerspruch, dass die Gesetze auch einige allgemeine Funktionen des Schutzes erfüllen. Ebensowenig steht damit in Widerspruch, dass man nicht jeden einzelnen Gesetzesparahraphen als Derivat der Herrschaftsverhältnisse, unter denen er entstanden ist, erklären kann. Denn vereinzelte Gesetze sind auch als Folgen bestimmter individueller Vorgänge entstanden. Der eben gekennzeichnete Zusammenhang bezieht sich vielmehr auf das Herrschaftssystem und den Geist der Gesetze.

Bei vielen Gesetzen allerdings lässt sich der Zusammenhang mit den Herrschaftsverhältnissen direkt nachweisen. Dies gilt inbesondere von den Gesetzen gegen den Landesverrat, die zu den schärfsten Waffen der herrschenden Klasse gehören. Sie müssen dies sein, weil sie die Verkörperung der Herrschaftsverhältnisse, den Staat, schützen sollen.

Nun ändern sich die sozialen Grundlagen der Herrschaftsverhältnisse häufig rascher als man die Gesetze ändern kann. In diesen Fällen müssen sie in einer den jetzigen Interessen der herrschenden Schicht entsprechenden Weise ‘sinngemäss’ gedeutet werden. Diese Methode hat man in Deutschland bei den Gesetzen gegen Hoch- und Landesverrat angewandt. Die Verurteilungen wegen Hoch-und Landesverrat sind heute zwanzigmal häufiger als in der Vorkriegszeit. Dies liegt nicht etwa daran, dass die republikanischen Gerichte die zahlreichen Putsche und Putschversuche von monarchistischer Seite mit der ganzen Schärfe des Gesetzes treffen: die richterliche Freiheit, die die subjektive Lage des Täters, das heisst, seine Zugehörigkeit zur herrschenden oder unterdrückten Klasse genügend zu berücksichtigen gestattet, muss nicht erst geschaffen werden. Sie ist längst da: der Separatist Lossow, der die bayerischen Truppen der Reichswehr zum Abfall verleiten wolltte, bezieht noch heute 18.000 Mark Pension. Die Kapp-Putschisten konnten die Republik erfolgreich auf Zahlung ihrer Gehälter verklagen. Solchen Vertretern der alten feudalen Macht gegenüber ist die Justiz zartfühlend, denn sie sind vom gleichen Fleisch und Blut, wie die in ihr herrschenden. Hier ist der Begriff des Hochverrats auf ein Minimum eingeschränkt worden. Denn mit diesem Zartgefühl schützt das heute herrschende Bürgertum seine wahren Verbündeten und damit sich selbst.

Ungeheuer feinfühlig aber ist die Justiz, wenn es sich um Kommunisten handelt. Die selbstverständliche Forderung, dass zum Hochverrat eine bestimmte Handlung gehöre, wird praktisch fallen gelassen. Eine Filmbesprechung, die Rezitation eines nicht verbotenen Gedichtes, das Goethesche Wort: ‘Allen Gewalten zum Trutz sich erhalten’, stellt hier schon Aufforderung zum Hochverrat dar. Schon die Zugehörigkeit zur legalen, im Reichstag vertretenen kommunistischen Partei wird praktisch als Hochverratsdelikt gewertet. So wird der Hochverratsbegriff in der von der jetzigen politischen Situation geforderten Weise erweitert.

Die zweite Ursache der gestiegenen Zahlen sind die Verurteilungen wegen Landesverrat. Heute sollen und müssen sehr viel mehr Geheimnisse geschützt werden als vor dem Krieg; denn es gibt sehr viel mehr ‘Geheimnisse’. Das offizielle Heer allerdings umfasst nunmehr ein Siebentel des Vorkriegsheeres und ist aller schweren und neuen Waffen entblösst.

Aber man hat die selbstverständliche Forderung, dass Geheimnis nur das sein kann, was geheim sei, dass Ereignisse, die ausserhalb der staatlichen Willensbetätigung liegen, keine militärischen oder Staatsgeheimnisse sein können, fallen gelassen. Die verratenen Tatsachen brauchen gar nicht einmal wahr sein, damit das Reich ein Interesse an der Geheimhaltung habe. Auch die Bekanntgabe gesetzwidriger Vorgänge, die zum Zweck der Abstellung dieser Vorgänge geschieht, stellt heute Landesverrat dar. Damit hat man den Begriff des Geheimnisses so erweitert dass alles darunter fällt, was man der Oeffentlichkeit und vor allem der Kritik der unterdrückten Klasse vorenthalten will. Denn die gesetzwidrigen privaten Rüstungen sind zum Teil von Behörden gebilligt worden.

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Dieser erstaunliche Vorgang, dass die Republik zusieht, wie ihre Gegner sich bewaffnen, ist nur erklärlich als Auswirkung des Klassenkampfes.

Als die Inflation die moralische Herrschaft des Kapitals über die Seelen erschütterte, als die Gefahr bestand, dass auf gesetzlichem Weg wirklich sozialistische Massnahmen getroffen würden, da galt es, das Gesetz beseite zu schieben. Man bewaffnete Landsknechte, Desparados, den Abschaum der Menschheit. Die Aufstellung der Schwarzen Reichswehr gipfelte in den Fememorden und dem Putsch von Küstrin. Die geheimen Rüstungen und ihre Wirkungen, Mord und Hochverrat, stellten eine nicht unwillkommene Hilfe für die herrschende Klasse dar. Das Bürgertum, das einst zusammen mit dem entstehenden Proletariat sich der Feudalmacht entgegenzetzte, braucht heute die im Militär verkörperten Feudalreste um seinen einstmaligen Bundesgenossen niederzuhalten. Auf die Legalität der Mittel zum Klassenkampf kommt es nicht mehr an. Naiv wäre es zu glauben, dass die herrschende Klasse durch ihre eigenen Gesetze gebunden sei. Wenn notwendig, werden sie leicht über Bord geworfen. Wenn die idealen Rechtsprinzipien zur Sicherheit der Herrschaft nicht mehr ausreichen, so gelten sie nicht mehr, weil sie ihren Sinn verloren haben.

Gegen diejenigen Naiven, die den Teufel bei Beelzebub verklagen, indem sie von der herrschenden Klasse Erfüllung ihrer eigenen Gesetze fordern, bleibt nichts anderes übrig, als den Angeklagten zum Richter zu bestellen. So nimmt man zur Grundlage der Entscheidungen in den Landesverratsprozessen die Gutachten der Stellen, die die illegalen Vorgänge gebilligt oder unterstützt haben. Der faktisch Angeklagte als Zeuge, der Interessent als Sachverständiger vernommen, bringt den Ankläger ins Zuchthaus. Eine geschikte Zwickmühle sorgt dafür, dass der Angeklagte auf keinen Fall der gerechten Strafe entgeht. Beweist er die Wahrheit seiner Behauptungen, so wird er wegen Landesverrats verurteilt, aber noch vor dem Zuchthaus baut man ihm goldene Brücken. Unterlässt er nämlich den Wahrheitsbeweis, dementiert er sich selbst, unterwirft sich als Lügner, so lässt man es ‘beim Rade bewenden’, er wird nur wegen versuchten Landesverrats verurteilt. Der Sicherheit halber werden viel mehr Verfahren eingeleitet, als man jemals durchführen kann oder will. Denn auch apriori vollkommen aussichtslose Verfahren haben einen Erfolg: Terrorisierung der öffentlichen Meinung.

Dieser Vorgang ist nicht verständlich, wenn man ihn nur als Entgleisung betrachtet, die man durch Einführung eines neuen Paragraphen, Ersetzung eines ‘reaktionären’ Personal-referenten durch einen andern, moralische Ermahnungen an die Herrschenden, sich an ihre eigenen Gesetze zu halten und ähnliche gutgemeinte Vorschläge beseitigen kann.

Dass es sich vielmehr um ein geschlossenes, durchdachtes System handelt, das aus dem Klassencharakter des heutigen Staates notwendig hervorgeht, ergibt sich deutlich aus der Tatsache, dass die Vorschläge für das kommende Gesetz genau der Veränderung in der Judikatur entsprechen. Der Strafgezetzentwurf, der jetzt zur Debatte steht, soll all das legalisieren, was heute schon an Landesverratsverfahren geleistet wird. Die Gesetze sollen sogar noch darüber hinaus verschärft werden.

Während die bestehenden Gezetze die Regierung davor schützen sollen, dass ihre Geheimnisse einer anderen bekannt werden, ist es hier der innere Feind, vor dem die militärischen Interessen geschützt werden sollen: jede Mitteilung von Nachrichten, deren Geheimhaltung zum Wohl des Reiches erforderlich sei, soll bestraft werden. Weder die Veröffentlichung, noch die Mitteilung an einen Agenten einer anderen Regierung wird gefordert. Schon eine Mitteilung zum Beispiel an einen Reichstagsabgeordneten sogar an jeden beliebigen kann strafbar sein. Denn die Bourgeoisie, deren Ausführungsorgan ja die Justiz ist, fühlt sich durch den inneren Feind heute stärker bedroht als vor dem Kriege. Eine Million Arbeitsloser steht vor den Toren. Hier gilt es vorzubauen; der Angriff ist die beste Verteidigung.

Andererseits entspricht die Veränderung der Landesverratsparagraphen durchaus der Veränderung der Struktur des Krieges. Früher war die militärische Sphäre stark akzentuiert von der zivilen getrennt. Diese Abtrennung ist entsprechend dem Wachstum der Tech-

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nik immer schwächer geworden. Dementsprechend setzt der Gesetzentwurf militärische Banden gleich einer kriegführenden Macht. Die vermutlich projektierte Uebernahme privater Verbände in die Reichswehr wirft hier ihre Schatten voraus. Im kommenden technischen Krieg wird es weder Militär noch Zivilisten mehr geben, es gibt nur die gesamte, kriegführende Bevölkerung. Der französische Mobilmachungsentwurf hat dies als erster offen zugegeben und der deutsche Strafgesetzentwurf vertritt diese Auffassung sogar wörtlich: ‘Infolge der Berührung aller Lebensverhältnisse durch den Krieg hat sich die Anwendung dieser (L.V.) Bestimmungen auf ein weites Gebiet erstreckt. Eine erschöpfende Aufzählung aller in Betracht kommenden Handlungen lässt sich nicht erreichen.’ So ist das militärische Geheimnis jeder gewünschten Ausdehnung fähig.

Es ist fraglich, ob es im kommenden Kriege überhaupt ein Kriegsgebiet im jetzigen Sinne noch geben wird, ob nicht das ganze Land als solches zu gelten hat. In bewundernswerter Voraussicht berücksichtigt dies der Strafgesetzentwurf indem er von Ausländern im Ausland begangene Handlungen als landesverräterisch kennzeichnet. Auch schon im Frieden kann die auswärtige Politik nunmehr fiktiv mit Hilfe des Strafgesetzbuches geführt werden. Der neue eingeführte Begriff der drohenden Kriegsgefahr und die dann eintretende Bestrafung des wissentlich einer feindlichen Macht Vorschubleistens geben der herrschen den Klasse die Möglichkeit, jede Opposition der Unterdrückten jederzeit wegen Landesverrat zu verfolgen. Denn in jeder heutigen Situation liegt die drohende Kriegsgefahr und der Begriff des Vorschubleistens ist jeder gewünschten Ausdehnung fähig.

Der bestehende Zustand mit seinen, dem Wortlaut des Gesetzes widersprechenden Auslegungen und der zu seiner Legalisierung geschaffene Gesetzenwurf erwächst systematisch und sozial bedingt aus der jetzigen politischen Lage. Der Entwurf verfolgt einen doppelten Zweck. Die illegalen Mittel durch welche der innere Feind heute bekämpft werden muss, sollen gestärkt und jedes juristische Rüstzeug, dessen der kommende Krieg bedarf, soll bereitgestellt werden. Der Entwurf ist somit durchaus zweckentsprechend. Ihn damit bekämpfen wollen, dass er eine unnötige Verschärfung hereinbringt, wäre ganz verkehrt. Wer sie bejaht, muss es tun, weil er ihren Zweck, die Verschärfung der Mittel des Klassenkampfes und die Vorbereitung zum imperialistischen Krieg bejaht. Umgekehrt ist ihre erfolgreiche Bekämpfung nur vom Standpunkt dessen möglich, der den Zweck, dem diese Gesetze dienen, den Klassenkampf der Bourgeoisie gegen das Proletariat wie den kommenden imperialistischen Krieg verneint. Damit ist die Stellung des Sozialisten zum Landesverrat klar: wir wollen die Bourgeoisie der Waffen berauben, die sie zu ihrem Kampf gegen das Proleariat und zur Vorbereitung des imperialistischen Krieges nötig hat. Der Kampf gegen den Landesverrat mündet so in den grossen Kampf zwischen Kapital und Arbeit.