VI Internationaler Kongress fur Zeichnen, Kunstunterricht und Angewandte Kunst in Prag, 29 Juli-5 August 1928
(Schluss)
frau g.e. scheyer sieht in den modernen künsten eine unmittelbare äusserung der persönlichkeit, eine auseinandersetzung mit der welt auf ungebrochener ebene -
das gleiche sagt sie aus von der ohne nötigung entstandenen kindermalerei, von dem aus unmittelbarem wunsch entstandenen ausdruck kindlicher fantasie und vorstellung.
beide bejaht sie als sichtbar gewordene quellen tiefster menschlichkeit; darin der zusammenhang - gemeinsame basis, der menschlichen wurzel zunächst liegend.
und so bestätigt das eine das andere.
auf dieser basis sucht frau scheyer den unterricht aufzubauen, mit dem wunsche, die kinder nicht anders zu beeinflussen als ihnen zu helfen wo es nötig ist, ihnen mut zu machen, ihnen gelegenheit zur selbstauswirkung zu geben.
‘art is the manifestation of the deeper understanding of life. let us allow the child to manifest himself, to express his personal truth of life. we must give him freedom to express himself.
we must stand aside and help, only when help is needed, in order that his deeper understanding of life may grow unhampered. in experimenting for themselves, they discover their true paths.
my experience with american children has been most stimulating. not only have they achieved self-expression, but freedom also in their splendid use of color und in their marvellous invention of rhythmus and line. not only do they liberate themselves, not only do they learn to use their tools - but they become observant of the world about them.
whether or not any of these gifted and vital children will ever become artists, is not a question for us. we can leave that trustfully to life itself. we can only protect and guide as we allow them to build up their rich natures.’
ausdruck als aufbaufaktor des lebens wird hier ohne altersbegrenzung gepflegt. die meinung ist: alle sind kinder, ob drei oder zwanzig jahre alt, und haben die befreiung, die lösung, den ausdruck nötig. Ob aus den mitteln dieses ausdrucks ausserhalb des subjektiven lebens auch ein objektives aufgebaut wird, interessiert dort nicht - mit ausnahme jener einzelnen, die zeichnen und malen zum beruf wählen.
das moment des objektiven aufbaus tritt aber in den vordergrund in dem augenblick, wo für ausdrucksbedürfnis und -fähigkeit der verschiedenen alter grenzen gesetzt werden. der tschechische
professor josef vydra (vorsitzender des organisations-ausschusses im VI. kongress) meint eine solche grenze im 9.-10. lebensjahr zu erkennen.
‘bis dahin’, sagt er, ‘ist die fantasie reich und von der vernunft nicht beherrscht. darnach beginnt ein übergewicht des denkens, das auch im zeichenunterricht nach logik und aufbau verlangt. das resultat muss also eine vereinigung beider methoden sein, und zwar nicht gleichzeitig, sondern in folge.’
vydra respektiert den kindlichen ausdrukswunsch uud die kindliche ausdrucksfähigkeit - das ‘psychologische zeichnen’ - versucht dieses aber in einem bestimmten zeitpunkt überzuführen zu bewusstem aufbau, zu logischer konstruktion, zu der heute aktuellen forderung nach reiner, klarer, richtiger, ‘konstruktiver’ form.
als eindeutigste vertreter dieser unterrichtsweise in der tschechoslowakei nennt er: die professoren mokry (general-sekretär des organisationsausschusses) und matéjcek.
das von herrn vydra so benannte psychologische zeichnen ist in europa schon in den neunziger jahren von professor czizek - wien propagiert und gepflegt worden. damals wurde er hart bekämpft von den traditionsgebundenen zeichenlehrern - heute sind viele glücklich, ihn sprechen zu hören, den mann zwischen 60 und 70, der sich für die befreiung der jugendkunst begeistert.
nicht ganz so überzeugend wirkt seine apologie des ‘kinetismus’ in der malerei, im malunterricht.
mit der künstlerischen érfassung des kinetismus in der malerei haben sich die futuristen um 1910 intensiv beschäftigt.
heute stehen wir im zeichen des kinetismus in jedem augenblick unseres lebens. und kinetisch sind die gestaltungsformen, die unsere zeit karakterisieren: film, körperschulung, tanz.
ob gerade die malerei - und speziell die kindermalerei - eine aufgabe der kinetik zu erfüllen hat, ist eine frage. vielleicht ist sie vielmehr der statische kern, einer unserer konzentrationspunkte.
in der dunan-schule, salzburg, wo körperschulung, musik, zeichnen die hauptpunkte des unterrichts sind, wird der zeichen- und malunterricht auf czizeks grundlagen aufgebaut. -
bei allen versuchen, im zeichenunterricht die kinder zum ausdruck zu führen, muss man sich einer gefahr bewusst sein: dass nämlich ausdruck nur dann wirklich ausdruck ist, wenn er nicht auf anregung von aussen, in bestimmten, dafür angesetzten stunden geschicht, soudern nach bedarf, nach bedürfnis in den gesamtunterricht eingeordnet ist.
so kommt man - auch von dieser seite - zu der forderung des einheitsunterrichts, des tagesunterrichts - an stelle des stundenplanes - wie es in einzelnen versuchschulen mit erfolg geschieht. zusammenarbeit der schüler mit einem oder wenigen lehrern an stelle eines grossen lehrerkollegium.
man kommt andrerseits dazu, das prinzip des bauhauses zu bejahen, die materialien nicht nur als ausdrucksmittel zu benutzen, sondern in der versuchsarbeit zur aktivierung der kräfte des menschen und der kräfte des materials.
von dieser einstellung aus wird auch auf organische weise der weg zum fachunterricht, zum zeichnen und konstruieren einer aufgabe gefuuden, denn auch da steht noch methode gegen methode, isohertheit gegen verbundenheit,
spekulative arbeit gegen praktische erfahrung, gedächtnisbeherrschung gegen hilfsinstrument, totes fachwissen gegen vitalen aufbau.
die ausstellung:
viel material aus vielen ländern.
nicht nach problemen, sondern nach geografischen gesichtspunkten geordnet.
jedem lande stand nur beschränkter raum zur verfügung, mit ausnahme der tschecho slowakei, die als beherbergender staat nach dem kongress-statut die pflicht hatte, ihre ergebnisse auf dem gebiet der kunsterziehung in grösserem umfange zu demonstrieren.
die tschechen hatten einen teil ihres materials in brno ausgestellt; der methodische teil war in prag zu sehen.
absicht war, einen durchschnitt zu geben durch die pädagogische arbeit im zeichen- und mal-unterricht. wieweit eine ausstellung jemals wirklich durchschnitt ist, hängt von der auswahl ab und ist vom betrachter schwer zu erkennen.
mit einem vergleichenden gesamturteil muss man daher zurückhaltend sein.
die erwartung, dass kinder da oder dort immer ähnlich arbeiten müssen, traf bei dem gezeigten material nicht zu. sie unterscheiden sich sogar sehr stark in der art der farbigkeit, in der themenwahl, in der art und weise der technischen inangriffnahme, in sichtbar werdenden zusammenhangen.
die verschiedenheit auf einflüsse der lehrer zurückzuführen - wie es vielfach geschieht - ist ungenügend.
gewiss sind einflüsse wirksam - aber sie lauern an jeder strassenecke, in jedem schaufenster, in jedem wohnraum. und ausserdem: in jedem baum, in der farbe der steine, des wassers; in der landschaft, in der atmosfäre.
so mag es kommen, dass in der kindermalerei des einen landes die farbige zeichnung vorherrscht (slaven), im andern deutliche spuren kunstgewerblicher gewandtheit (wien) im dritten zeichen technischen (ererbten) könnens (frankreich) usw.
solche verschiedenheiten, solche einflüsse waren in prag deutlich zu bemerken.
aber wer sind die aussteller?
ist es eine auswahl aus allen gruppen?
ist es eine schicht?
ist es der einfluss der einen oder andern persönlichkeit?
man stellt fest, in manchen räumen einen lebendigen eindruck gehabt zu haben: erinnerung an tschechische, amerikanische, wiener, schwedische, deutsche arbeiten. (aus deutschland insbesondere das bauhaus dessau.)
deutschland hatte sich bedauerlicherweise nur mit einzelmaterial beteiligt. auch russland war als gesamtheit nicht vertreten; nur schulen der russischen emigranten hatten arbeiten ausgestellt.
so fehlte das richtige bild aus zwei ländern, die zu den stärkst interessierten und aktivsten auf diesem gebiet gehören.
im ganzen der austellung doch überviel konvention, sehr viel formgebundenheit aus früheren jahrzehnten. die unkonventionellen resultate, die imstande sein können, anfmerksamkeit zu wecken, sind immer noch selten.
man nahm als positives mit: gewisse namen, gewisse schulen - ohne sie als karakteristisch für die betreffenden länder registrieren zu dürfen.
teilnahme:
insgesamt: | 3370 personen | |
darunter: | ||
über | 1000 aus tschechoslowakei | |
855 aus amerika | ||
355 aus grossbritannien | ||
290 aus deutschland |
österreich und die stadt wicn haben die versammlung eingeladen, ihren nächsten kongress, der im jahre 1932 stattfinden soll, in roien abzuhalten.
lucia moholy