Menno ter Braak
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Klaus Mann

Den Haag, 27 november 1934

Haag, 27 Nov.’34

 

Lieber Herr Mann

Für Ihren Brief vielen Dank. Selbstverständlich lässt sich über den literarischen Wert eines Buches in letzter Linie nicht streiten. Es handelt sich bei mir aber nicht um den literarischen Wert, sondern um Ihre Stellungnahme zu den Zeitproblemen. Wenn Sie versucht haben, Johanna darzustellen als eine Vorkämpferin der Emigration, dann kann ich Ihnen nur sagen, dass davon (nach meiner Meinung) nichts auf den Leser übertragen wird. Sie ist höchstens eine Frau, die die Liebe sehr ernst nimmt; aber man fragt warum! Dieser Ragnar ist ein völlig bedeutungsloser Mensch; lesen Sie nur seine dummen Bemerkungen über französische Literatur (‘le batêau ivre... wie ist es möglich dass Sie le batêau ivre versäumt haben!’) Und aus diesem quasi-interessanten, quasi-demonischen Poseur machen Sie eine Art Held! Und aus seinem Ausflug mit Johanna, une petite cochonnerie misérable wie es soviele romantische Ausflüge gibt, machen Sie ein Mysterium! Sie haben diese an sich selbstverständlichen und als Phänomen gar nicht so wichtigen Angelegenheiten durch Ihren Stil (der, weit mehr als in ‘Kind dieser Zeit’, Ähnlichkeit hat mit den Stil Ihres Vaters, leider aber ohne dessen persönlichen Eigenschaften) wichtig, tragisch, metaphysisch, unhumoristisch gemacht. Dem Humor gegenüber werden Johanna und Ragnar zu winzigen Geschöpfen (wie Sie und ich), die ein bisschen Glück und ein bisschen Unglück erleben und daraus ihre kleine Tragoedie machen; dabei soll man aber den Humor nicht verlieren. Etwas Rabelais oder sogar Céline (reden wir nicht einmal von Stendhal, die Ihr Buch zweifellos als ein schlimmes Beispiel von der verhassten ‘gravité’ qualifiziert haben würde) wäre für Johanna eine gute Ernährung, so kommt es mir wenigstens vor.

Ich habe keinen Augenblick daran gezweifelt, dass Sie die Emigration nicht absichtlich verleugnen wollten! Es ist Ihnen ganz einfach nur misslungen die Emigration als wesentliches Element in Ihr Buch einzuführen; sie bleibt völlig Dekoration. Mir ist es genau so gegangen mit meinem Roman ‘Dr. Dumay verliest’; ich wollte eine bestimmte Idee als Grundlage des Buches nehmen und diese Idee durch die Menschen sprechen lassen; was daraus wurde war ein ausführlicher holländischer Klatschroman, den ich heute selbst ablehne. Und ich erinnere mich, dass ich während des Schreibens eigentlich kein Moment gezweifelt habe! Vielleicht ist ‘Flucht in den Norden’ ein ähnlicher Fall.

Mit Ihren Bemerkungen über das Thema ‘Emigrationskritik’ kann ich nicht einverstanden sein. Sie sagen, es sei ein wichtiger Kern Wahrheit in meinen Beobachtungen, aber man soll nützlichen Rat privat erteilen. Das scheint mir unrichtig und nicht konsequent. Ich meine nämlich, dass es sich hier handelt um ein sehr wesentliches Element in der Emigrationsliteratur, dass nicht nur Privatsache der Autoren unter einander, sondern eigentlich viel mehr Angelegenheit des lesenden Publikums ist. Sie haben Recht wir müssen uns helfen - aber nicht zum Nachteil der ‘Wahrheit’! Alles was nach ‘clique’ und ‘claque’ riecht, ist ein Übel für die Nase, darum hätte nach meiner Meinung die Emigration alles Mögliche versuchen sollen um sogar Nebengedanken an Koterie sofort zu verscheuchen; das Gegenteil ist aber geschehen! Ich fürchte (habe das früher Gegnern der Emigration immer auszureden versucht, kann es jetzt nicht mehr tun mit gutem Gewissen), dass es sich hier wirklich handelt um unrichtige Verhältnisse in der deutschen Kritik vor der Hitlerregierung, worauf man im Ausland, vielleicht unbewusst, nicht verzichten kann, oder will. Es ist doch in Grund und Boden falsch, dass die Kritik eine Angelegenheit der Schriftsteller unter einander ist, sobald diese Schriftsteller schon bei einem Roman von Brod oder einer Erzählung von Arnold Zweig über Genie zu sprechen anfangen! Offenbar hat man hier den Literator mit dem schöpferischen Genie vertäuscht; man bewundert immer wieder von neuem, dass man solche schönen Sätze schreiben kann und so zärtlich reden über die Frau nach den man sich sehnt; dass es sich hier meistens lediglich um eine durchschnittliche Literaturbegabtheit handelt, dass ein Autor mit einer Gewissen technischen Fingerfertigkeit sehr leicht jedes Jahr eine solche Meisterarbeit produziert - dafür hat man schon längst alle Verständnis verloren.

Ich habe in meinen Artikel auseinander gesetzt, warum ich auf der Seite der Emigration stehe: weil ich ein ‘guter Europäer’ sein will und mit diesen Blubo-Schmutz nichts zu tun haben will. Ich muss mich dabei aber vorbehalten, dass ich auch den Emigranten die ‘Wahrheit’ sagen darf, wenn Sie anfangen ‘europäisch’ zu vertäuschen mit ‘Literatenbildung’ und auf Grund dieser Bildungsoberfläche einander verzärteln. Es besteht bei mir nicht das geringste Misstrauen der Aufrichtigkeit der gegenseitigen Bewunderung gegenüber; in meinem Artikel habe ich absichtlich das Wort ‘Komplex’ gebraucht. Von Unaufrichtigkeit im vulgären Sinne wird also gar nicht die Rede sein, das ‘Komplex’ hat ‘komplizierten’ Wurzeln! Es dreht sich hier wieder einmal um denselben Gegensatz zwischen Geist und Geist, der sich auch offenbarte in unseren Artikeln in der ‘Sammlung’. Für Sie und Ihre Kollegen ist ‘Geist’ einfach ‘Bildung’ und ‘Literatur’ gleichzusetzen; für mich wird das Geistige erst recht verdächtig, wenn es sich in der schauspielerischen Verstellung des Literarischen als oberster Wert zu behaupten versucht.

Meine Beschwerde geht nicht gegen die Kritik der Freunde! Unter Freunde kann man ‘ehrlich’ sein, genau so wie man Menschen, die man nie gesehen hat, ‘ehrlich' behandeln kann, wenn auch mit andren Betonung. Das ‘Emigrantenkomplex’ ist eben deshalb gefährlich, weil die Freunde nicht mehr kritisch sein können, und weil die sogenannte ‘Kritik’ sich mit dem bloss-literarisch technischen begnügt. Man sollte mit dem Deutschland, das vor 1933 war, Schluss machen, endgültig, Verzicht leisten auf das Romanische Kaffeehaus und den Kurfürstendamm! Damit wäre ein grosser Schritt getan, damit hätte (für mich!) die Emigration schon Ihren Sinn bekommen! Solange das nicht geschehen ist, bleibt unser Bündnis ziemlich negativ. Ich möchte aber, statt nur gegen den Nationalsozialismus, auch für die Emigrationsliteratur kämpfen können!

Es wäre mir lieb, wenn Sie in den ‘Glossen’ auf meinen Artikel mit aller Schärfe eingehen wollten. Wenn Sie vielleicht, zur Klärung der Lage, ein Fragment aus diesem Brief als Kommentar verwenden wollen, habe ich selbstverständlich nichts dagegen; nur möchte ich es dann vorher wissen und Sie bitten um Ihre sachverständige Korrektionen in meinem deutsch.

Ich möchte mit Ihnen persönlich über diese Angelegenheiten sprechen. Vielleicht können wir einander schon jetzt nicht mehr verstehen, vielleicht doch auch wohl; jedenfalls könnten wir es versuchen, Sie wissen, dass wir ev. ein Zimmer zur Verfügung haben,

Mit herzl.Gr.

Ihr Menno ter Braak

 

Beachten Sie bitte noch besonders diesen konkreten Fall: der Fall Emil Ludwig. Dieser üble Literat hat ein schlechtes, völlig belangloses Buch geschrieben... und was sagt dazu das Neue Tagebuch? Solche Sachen sind symptomatisch.

 

Origineel: Monacensia. Literaturarchiv und Bibliothek München

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