Menno ter Braak
aan
Klaus Mann

Den Haag, 29 mei 1935

Pomonaplein 22, Haag

29 Mai’35

 

Lieber Herr Mann

Vielen Dank für Ihren Brief und Ihre Würdigung meines Freud-Nietzsche-Aufsatzes. Was Sie sagen über die Pilatusgeschichte mag schon richtig sein, und ich gestehe, dass die Tradition des Christentums etwas anderes ist als das Christentum als Sklavenmoral. ‘Hohl’ würde ich das Aperçu Nietzsches trotzdem nicht nennen, weil es in den Zusammenhang durchaus verantwortet ist, und nun vielleicht ein Missverständnis entstehen kann durch die Verallgemeinerung. Was Nietzsche an dem Christentum zu rügen hat, haben wir zweifellos auch an ihm zu rügen; nur dass heute die sog. Primitivität der Wotansdiener, die das ganze Christentum einfach übersehen wollen, für uns die strategische Position seiner Repräsentanten wieder sympathischer macht. Wenn aber Nietzsche Pilatus falsch interpretiert hat: um so besser! Ich will es sofort annehmen, und bestehe nicht auf seine und meine Deutung des Falles.

Was die Praxis der Veröffentlichung anbelangt: Kürzung scheint mir leider nicht möglich; und den Aufsatz teilweise veröffentlichen hat auch wohl keinen Zweck. Ich schrieb Ihnen, dass ich auf dieses Essay hohen Wert legte (im Rahmen meiner Arbeiten, meine ich selbstverständlich); das würde aber nicht mehr der Fall sein, wenn ich Stellen streichen müsste, oder z.B. nur Freud geben und Nietzsche fortlassen; in der Gegenüberstellung der beiden Persönlichkeiten liegt für mich das Entscheidende. Natürlich hätte ich nichts einzuwenden gegen eine Veröffentlichung in zwei Nummern (man kann den Aufsatz sehr gut halbieren), und auch das Honorar ist mir nicht wichtig. Ich weiss nur nicht, ob Ihnen gerade mit diesen Erwägungen geholfen wäre. Jedenfalls bin ich zur mundlichen Besprechung selbstverständlich bereit, denn Ihre Schwierigkeiten sind mir vollkommen klar. Wenn Sie mir das Ganze einfach zurückschicken, werde ich auch das verstehen. Ich hoffe also diesen Gegenstand noch näheres von Ihnen zu hören.

Eine Blamage, diese niederländische Delegation auf dem Penn-Kongres! Ich habe sofort protestiert und bin wirklich erstaunt darüber, dass die holländische Presse schweigt oder sogar von Kommunismus bei den Emigranten redet. So sind wir nun einmal; Ossietzky und Renn sind schon vergessen und das Diner der niederländischen Pen-club darf nicht gestört werden. Ich kann nur nicht glauben, dass die holl. Schriftsteller schweigen werden; so dumm sind sie doch nicht, dass sie sich durch einen Johan Koning etwas vormachen lassen werden. Wenn Sie die Frau van Klijn-Naeff mal richtig angesehen haben, dann wissen Sie auf immer was der holländische Familienroman ist. Solchen Damen fehlt sogar die Phantasie sich in das Schicksal eines Ossietzky zu versetzen. Dann lieber holländische Heiratsmiseren, unbefriedigte Hausfrauen und allzu temperamentvolle Kaufleute und kein Ende! Wirklich, wenn ich an diese vorsichtigen Weiber denke, vergesse ich alle Meinungsverschiedenheiten über ‘Flucht in den Norden’!

Grüssen Sie bitte Ihre Schwester, wenn Sie in Zürich ist, herzlich von mir.

Mit den besten Wünschen

ganz Ihr Menno ter Braak

 

N.B. Ich gab vor einiger Zeit Ihre Schwester eine Novelle von dem Emigranten, der bei mir gewohnt hat, S. ?, vergass aber weiter über das Manuskript zu sprechen. Haben Sie es gelesen und wollen Sie es mir, senn Sie es für ‘Die Sammlung’ nicht gebrauchen können, mal zurückschicken?

 

Origineel: Monacensia. Literaturarchiv und Bibliothek München

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