Thomas Mann
aan
Menno ter Braak

Princeton, 8 mei 1940

Princeton, N.J. 8.V.1940

 

Lieber Menno ter Braak,

Mit leidigster Verspätung ist Ihr grosser Aufsatz über ‘Lotte’ in ‘Het Vaderland’ im meine Hände gelangt, und es ist mir schmerzlich zu wissen, dass wieder eine lange Zeit vergehen wird, bis diese Zeilen, ein Versuch Ihnen meine Dankbarkeit auszudrücken, Sie erreichen werden. Ihr Artikel, eine meisterhafte Analyse dieses sonderbaren Produkts unter dem positiven Gesichtspunkt, wird immer ein Glanz -und Kapital- Stück meiner kleinen Sammlung vor Dokumenten über ‘Lotte’ bilden - denn ich muss gestehen, dass ich nie so eifrig und genau alles gesammelt habe, was mir schriftlich und gedruckt über ein Buch vor Augen kam, wie diesmal; aus teilweise deplorabler Gründen natürlich. Wenn ich denke, dass gerade dieser ‘Roman’, dessen Langweiligkeit durch eine gewisse Aufregung balanciert wird, die die Realisierung des Mythos mit sich bringt, in Deutschland hätte erscheinen können, so kann ich mich doch eines leichten Unmuts über die Launen der Weltgeschichte nicht enthalten.

Dank der holländischer Sprache (wie drollig ist sie manchmal!) ist mir ja Ihr Aufsatz ein wenig ein verschleiertes Bild. Aber die klug-freundlichen Züge dieses Bildes schimmern doch beständig durch den kuriosen Schleier hindurch, und an vielen Einzelheiten habe ich herzlich Freude gehabt: so an dem, was Sie über das VII. Kapitels sagen (wie gut gewählt ist dafür das Wort ‘avontuur’!); ferner über die Kennzeichnung des Buches als ‘dialektischer’ Roman - nämlich in Verbindung mit der schönen Bezeichnung ‘Goethe-muziek’.

Weit, weit liegen die herrlichen Wochen von Noordwijk zurück, denen ich es verdanke, dass ‘Lotte’ im Herbst erscheinen konnte, und unsere reizendes kleines Fest im Schriftsteller Club. Wir waren in der Schweiz danach, dann in London, dann in Schweden, und die Rückkehr von dort, nach Ausbruch des Krieges, war keine Kleinigkeit... Sie wurde wieder von England aus bewerkstelligt, nach einem Flug über die Nordsee, der nicht ungefährlich war. Und nun? Ein Instinkt treibt mich an, mich noch weiter von Europa zu entfernen und nach Californien zu gehen, in dessen Licht ich gerne den Schlussband des ‘Joseph’ schreiben möchte. Den Sommer wollen wir jedenfalls dort verbringen, und vielleicht bleiben wir dort, um zu warten, ein Wort, das sich immer düsterer färbt. Von dem schliesslichen Scheitern der deutschen Abenteuer bin ich überzeugt. Aber welche Schrecken werden noch vorher kommen? Wie in die Schweiz, so gehen unsere Gedanken oft nach Holland und zu den Freunden dort - jetzt dringlicher als je. Gott schütze das liebe, schöne Land und seinen Frieden!

Mit herzlichen Grüssen und Wünschen, auch von meiner Frau und meinen Kindern

Ihr Thomas Mann

 

Origineel: Den Haag, Letterkundig Museum

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