Moholy-Nagy:
Noch einmal die elemente

(zu der internationalen film und foto ausstellung stuttgart)

I

vor nicht allzulanger zeit bedeutete die malerei noch die höchste stufe der optischen gestaltung. der begriff ‘malerei’ ist aber nicht mehr umfassend genug für den heutigen menschen, der in einer ganz neuen optischen verbundenheit mit der gegenwart lebt. nicht deswegen weil der maler, als typ von tiefem begabungsfundus, schöpferischer arbeitskraft und konzentration etwa ein unwichtiges glied in der produktivarbeit der menschheit wäre. im gegenteil: seine person, richtiger: seine schöpferische intensität könnte wieder zur dauernden quelle der belehrung und erhebung, der bereicherung und erschütterung werden; wenn er nur wagen würde, den sprung zu machen: seine ausdruckswünsche mit den technischen und wirtschaftlichen errungenschaften, mit den heute möglichen apparaturen durchzuführen.

 

jede malerei war bis jetzt vorwiegend auseinandersetzung mit der farbe, mit der fähigkeit eines materials, das licht zu reflektieren oder zu verschlucken, mit aller deutlichkeit seiner stofflichen existenz. da wir aber heute imstande sind, anstelle der grobstofflichen farbe das direkte licht zu benutzen, haben wir - anstelle des sekundären, transformierten mittels - das primäre in der hand, das die sublimierteste, eindeutigste erscheinungsform seiner selbst ist.

 

die filmische arbeit ist ein teilgebiet der optischen gestaltung, eine von den direkteren formen der umsetzung des lichts.

II

natürlich ist der film nicht allein ein problem der lichtgestaltung, sondern gleichzeitig ein problem der bewegungsgestaltung.

 

und auch mit dieser erweiterung ist die problematik des films nicht erschöpft. es gehören eine reihe von elementen, die zusammen erst den begriff des filmischen ergeben.

man kann diese elemente analytisch festlegen, zu ihrer benutzung direktiven aufstellen; aber im grunde ordnet sich alles der licht- und bewegungsform unter.

III

zu den wegbereitern einer neuen lichtkultur, die mit berechenbaren und regulierbaren differenzierungen arbeitet, gehören vor allem: die übersensibilisierung der lichtempfindlichen schicht - neue aufnahmeoptik - die hochwertigen künstlichen lichtquellen - reflektoren, projektoren, fysikalische geräte, polarisation und interferenz des lichtes.

 

wir sind fähig, mit hilfe dieser momente und apparate lichtformen zu schaffen. die bewusste erfassung dieser formen, ihre bisher unbekannten spannungen sind im film noch lange nicht ausgewertet, obwohl sie die sicherste basis für filmische qualität sein könnten.

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[115]

 

mit licht allein können starre objekte beseelt werden:

dokument und psyche, objekt und mimik werden durchleuchtet von der optischen sensation bewusster lichtgestaltung.

IV

das dem licht gleichwertige wunder der bewegung existierte bis zum auftauchen des films als gestaltungsfaktor nur im tanz, für ihre verwendung, ihre beherrschung fehlt noch jede tradition.

sie muss aus dem unartikulierten urtatbestand, aus der nackten existenz heraus gestaltet werden. das ist auch die erklärung dafür, dass der film als bewegungskunst heute noch auf einer verhältnismässig primitiven stufe steht.

 

unsere augen sind in der erfassung verschiedener gleichzeitiger bewegungsfasen oder bewegungsabläufe noch ungeübt. in den meisten fällen werden sie die vielfasigkeit eines bewegungsspiels nichtals organismus, sondern als chaosempfinden. so werden die meisten vorstösse in dieser richtung - unbeachtet ihres ästhetischen wertes - in erster linie von pädagogischer wirkung sein.

V

über die gestaltung dieser zwei grossen problemkreise hinaus ist die praxis des films auch mit anderen faktoren verbunden, abhängig von der arbeit des

wissenschaftlers (fysikers, chemikers)

technikers (architekten, operateurs, vorführers)

regisseurs (autors)

auf den gebieten der aufnahmeoptik, lichtempfindlichkeit, farbenfilm, plastischer film, tonfilm, vorführungsmöglichkeiten, projektionsflächen, wölbungen, zerrung der flächen, doppelflächen, netze, löcher, vorführungstechnik, doppelprojektion, vielapparatur, lichtspiele, überblendungen, der akustik, der montage - die alle sich zur synthese: film (filmwirkung) zusammenfügen müssen.

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