Viktor Heimann: Der Kulturfilm in der USSR

In der Sowjetunion hat natürlich der Begriff ‘Kulturfilm’ eine umfassendere Bedeutung als in anderen Ländern. Zu dieser Kategorie gehören eigentlich fast alle bessere Filme. Mit den Methoden des ‘Kulturfilms’ arbeiten die besten Regisseure: Eisenstein, Wertow, Turin u.a.

Das charakteristische Merkmal dieser Filme ist ihre konkrete, instruktive, beinahe pädagogische Aufgabe. Diese Filme sollen nicht nur emotionell auf den Zuschauer einwirken, sondern ihm auch die Fragen klar machen, die im Filme aufgeworfen sind. Diese Einstellung ist das charakteristischste Merkmal des Sowjetfilms. Denn jede Form der Sowjetkunst, darunter auch der Film, ist nicht nur Unterhaltung, sondern auch Erziehungsmittel.

Der Film ist ein grossartiges Lehrmittel. Durch

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ihn kann man den zurückgebliebensten Zuschauerkreisen Wissen beibringen. Deswegen haben in den letzten Jahren der Kulturfilm und der wissenschaftliche Film einen bedeutenden Platz in der Filmproduktion der USSR eingenommen. Vor kurzem haben die Regierungsorgane festgestellt, dass die Kinoproduktion 30% ihrer Mittel für Kulturfilme verwendet. Man muss in Betracht ziehen, dass ein Kulturfilm 3-4 mal billiger kostet, als ein ‘Theater’-film. Ihre Zahl in diesem Jahr wird grösser als die ganze übrige Produktion sein.

Mit der Produktion von Kulturfilmen befassen

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EEN DER ATELIERS VAN SOVKINO (MOSKOU)

sich z. Zt 13 Filmorganisationen. Alle nationalen Republiken sind jetzt von dieser Arbeit ergriffen. Die grösste Produktion der nationalen Organisationen ist die Ukrainische, die eine bedeutende Abteilung für Kulturfilme hat. In diesem Jahre entwickelt sich auch die Arbeit in Weissrussland, Georgien, Sibirien und Usbekistan.

Die Arbeit am Kulturfim in den nationalen Republiken und in den Republiken an den Peripherien muss gute Ergebnisse auf dem Geblete ethnographischen Films zeitigen. Jede nationale Republik dreht mehrere Filme, die speziell ihrem Aufbau und die Lebensverhältnisse des betreffenden Landes wiederspiegeln.

Ausser den nationalen Organisationen führt auch die Moskauer Filmorganisation ‘Wostokkino’ (Ostkino) eine grosse Arbeit zur Schaffung spezieller Filme über die verschiedenen Völker der USSR. Es werden z.B. solche Kulturfilme, wie ‘Die Juden auf dem Lande’ (Spielleiter V. Turin), ‘Die Krimrepublik’, ‘Baschkirien’, ‘Kasakstan’ u.a. vorbereitet. Ernste Arbeit auf dem Gebiet des Kulturfilms führt auch der Meshrabpom-Film.

Als centrale Produktionsbasis des Kulturfilms muss auch die spezielle Fabrik Sowkino in Moskau genannt werden. Diese Fabrik beschäftigt sich ausschliesslich mit der Produktion von Kulturfilmen. Hier arbeiten 40 Regiegruppen. D.h. es werden zu gleicher Zeit etwa 40 Filme gedreht.

Der gesamte thematische Plan dieser Fabrik umfasst für das nächste Jahr 261 Themen, von welchen 208 als Beifilme in I oder 2 Teilen und 53 Filme zu je 1500-2000 Meter realisiert werden. Die Produktion dieser Fabrik werd ungefähr 50% der gesamten Kultur filme liefern. Die Hauptthemen in der Produktion von Kulturfilmen des Sowkino werden folgende sein: 1. ‘Der grosse Aufbau’ (Der Fünfjahresplan des Aufbaus der USSR), 2. ‘Religion und Lebensart’, 3. ‘Zwei Welten’ (Krieg und Abrüstung), 4. ‘M.O.’ (Das Moskauer Industriegebiet). 5. ‘Die Elektrischen Ressourcen der USSR’. 6. Die Schöpfungsgeschichte’. 7. ‘Die Frau und die Religion’. 8. ‘Der Gewohnheit zum Trotz’ (die unendliche Werkwoche) und eine Reihe anderer Filme von sozialer und wissenschaftlicher Bedeutung. Ausserdem bereitet die Fabrik eine ganze Reihe ethnographi-

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scher Filme vor. Zu diesem Zwecke sind einige Filmerexpeditionen nach Kamtschatka, Tadshikistan, Sachalin und andere Orte an den Peripherien der Union abkommandiert worden.

Wie gross die Produktion dieser Fabrik angelegt ist, kann man schon daraus ersehen, dass ihr Budget für das laufende Jahr 3 Mill. Rbl. übersteigt, was bei dem verhältnissmässig niedrigen Kostenpreis der Kulturfilme eine sehr grosse Summe darstellt. Zu Ende des Produktionsjahres hat die Fabrik Aussicht, eine Reihe von Filmen internationaler Bedeutung fertiggestellt zu haben. Es wird z. Zt. eilig an der Organisierung eines ‘Tonfilmateliers’ an dieser Fabrik gearbeitet. Es ist also zu erwarten, dass in den nächsten Monaten die ersten Tonfilme herauskommen werden.

In rein wissenschaftlichen Filmen, die auch häufig Kulturfilme genannt werden, ist das Problem der künstlerischen Gestaltung nicht kompliziert. In solchen Filmen z.B., wie ‘Das Betragen des Menschen’ ‘Alkohol’ u.a. spielt die Regie und die Montage eine Nebenrolle. Bei wissenschaftlicher Einstellung sind der Regisseur und der Autor des Filmmanuskripts durch die ‘Lehr’-forderungen begrenzt und sie dürfen sich nicht durch äussere Formen des Films verlocken lassen, welche die rein pädagogische Bedeutung des Films verdunkeln könnten.

Anders ist es bei der Gestaltung von Filmen, welche irgend welche sozial-ökonomische Probleme zum Stoff haben. Hier haben Regisseur und Filmmanuskript-autor unbegrenzte Möglichlichkeit ihre schöpferische Phantasie spielen zu lassen. In solchen Kulturfilmen, wie ‘Der Elfte’ von Dsiga Wertow, ‘Schanghai-Dokumenten’ von J. Blioch oder, endlich, im besten Film dieses Jahres ‘Turksib’ von Viktor Turin, haben wir die grössten Errungenschaften in Bezug auf die Filmform. Die emotionell-künstlerische Wirkung dieser Filme übersteigt ein beliebiges Bild, das auf Intrigen mit individuellen Helden aufgebaut is. Das formelle Verfahren dieser Meister und die Gesamtkonstruktion ist denen von Eisenstein, Pudowkin und Dowshenko sehr ähnlich. Das Hauptprinzip dieser Künstler ist sich nicht durch den Rahmen einer engbegrenzten Intrige und einer bestimmten Schauspielergruppe leiten zu lassen. Die Handlung wird in diesen Filmen häufig sehr vielseitig. Sie ‘springt’ oft nach verschiedenen Richtungen um, und nur durch die Kraft und Meisterschaft des Künstlers und die Zielbestrebheit unterwirft sie sich der Grundidee des ganzen Films.

In den Filmen dieser Meister stossen wir auf eine ganz neue Form der dichterischen Filmgestaltung. Das System der chronologischer Konsequenz der Sprache ist abhanden gekommen. Hier ist mehr Denken als Handeln. Das Gehirn hat hier das Gesicht besiegt.

Diese Filme sind gar nicht dem gewöhnlichen Schauspielerfilm ähnlich. Es werden hier die alltäglichen literarisch-dramatischen Konzepte ignoriert, auf welchen Millionen früherer Filme aufgebaut waren. Jetzt erst wurde erst klar, dass die ganze frühere Filmarbeit auf alten Theatertraditionen begründet war, welche störten, Film zu einer neuen und starken Kunst zu entwickeln.

Das beste Beispiel, das diesen Grundsatz bekräftigt, ist der Film ‘Turksib’, der vor das europäische und amerikanische Publikum eben läuft.

Diese Filmdichtung des Regisseurs V. Turin überzeugt endgültig, welch ungeheure Möglichkeiten sich dem Kulturfilm eröffnen. Nach ‘Turksib’ wird es klar, wie hinreissend und überzeugend man auf der Leinwand die ernstesten Erscheinungen der Wirklichkeit zeigen kann, ohne sich den allgemein üblichen Verfahrens der theatralen Filmproduktion zu bedienen. Im ‘Turksib’ gibt es keine persönlichen Intrigen, überhaupt keinen Schauspieler. eine ‘Schauspieler’ sind die sozial-ökonomischen Kollisionen. Wenn der Zuschauer diesen Film sieht, erlebt er nicht den Filmhelden, sondern die Idee, die das Leitmotiv dieses Werkes ist. Diese Idee ist der Bau einer Eisenbahnlinie. Ein seltsamer künstlerischer Gegenwert für einen beliebigen Filmstar. Und trotzdem halt dieser ‘Schauspieler’ jeder Kritik stand und ruft das Entzücken des Zuschauers hervor.

Der Kulturfilm hat für die Sowjetunion eine ungeheure Bedeutung, da man durch den Film umfassend die grosse wissenschaftlich-kulturelle Arbeit beleuchten kann, welche in einen Lande geschaffen wird, das eine Bevölkerung von 150 Millionen hat. Und überdies können Dutzende von Völkern zeigen, über welche Millionen Zuschauer noch nichts gehört haben.