J.J.P. Oud
Wohin führt das neue Bauen: Kunst und Standard165
Sie fragen einiges zu sagen über: ‘Wohin führt das neue Bauen: Kunst und Standard.’ Das Thema ist wirklich nicht leicht: ich habe nicht den Mut da mit grossen Worten zu antworten.
Ein Freund von mir, ein bekannter russischer Maler und Architekt, schrieb mir einmal: ‘wir machen unsere Arbeit gewissenhaft, versorgen sie bis zu den kleinsten Einzelheiten, ordnen uns der Aufgabe völlig unter, denken nicht an Kunst, und siehe - eines Tages ist die Arbeit fertig und sie erweist sich: Kunst!
So scheint es mir mit dem Bauen zu sein. Ich weiss nicht ob die Welt in der Zukunft bloss vom Standard regiert werden wird (ohne Standard wird sie aber sicher nicht regiert werden!); ich weiss nicht ob es in der Zukunft nur Bauen oder auch Kunst geben wird. Ich weiss es nicht und, offen gestanden, es interessiert mich nicht.
Ich tue meine Arbeit sowie ich meine, dass ich sie als ehrlicher Mensch tun soll. D.h. ich opfere die Bequemlichkeit und das Kapital meines Bauherrn nicht dem Geschmack vergangener
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Jahrhunderte, erblich belasteten Vorbeigängern und Besuchern zuliebe. Ich versuche einfach ihm ein reëlles, gutes Haus zu schaffen, worin er es behaglich hat.
Ich bin nicht sehr idealistisch veranlagt: ich überlasse es den Passé-isten ihr tätiges Leben nach toten Formen zu richten. Ich habe das Leben gerne sowie es ist; liebe es: schön oder unschön, doch lebendig. Ich lasse es gerne fliessen, sowie es eben fliesst und möchte es nicht von der müden Sehnsucht weltabtrünniger Träumer in seinem Lauf stören lassen. Ich bin voller Bewunderung für Herrn Meyer wenn er den Idealismus soweit treibt, dass er den Löwenköpfen und der weiteren Zier seines Sessels zuliebe, sich ein extra-Dienstmädchen leistet; mir wird's warm um's Herz bei der auflodernden Begeisterung für's schräge Dach, weil ich soviel Unpraktisches nie mit so kollektivem Idealismus hingenommen geglaubt hätte. Zwar
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kann ich bei solchen Dingen nicht mit, doch in einer Zeit des Materialismus wie wir heute eine erleben, weiss ich solche Selbstlosigkeit zu schätzen; immer wieder habe ich meine Freude an dem Idealismusselbst wenn er umgekehrt auftaucht, sowie hier.
Wie gesagt aber: ich bin so nicht, im reëllen kann ich da nicht mit. Ich will, dass man es in meiner Wohnung bequem hat, sei es dann, wenn es muss, auf Kosten dieses Idealismus. Bei mir soll man gut sitzen und Licht und Luft haben, und rein soll es auch sein. Ich bin zwar nicht für die Alleinherrschaft des Standards - es gibt mehr wichtige Dinge in der Welt und die Natur soll auch dort, wo sie zum Standard zwingt, lebendig in die Erscheinung treten -; der Standard aber hat viele Vorteile: er ist billig und gut, korrigiert sich immer. Die Standard-Türen und Fenster, die Standard-Stühle und Tische sind besser, durchgearbeiteter und erprobter, als das Einzelprodukt. Soll ich meinem Bauherrn diese Vorteile vorenthalten?
Die Natur in ihrer Selbstverständlichkeit hat immer recht. Sie lässt es dem gesunden Sinne immer am besten gehen in der Welt. Sie hat uns den Standard gebracht. Sollen wir da naseweis sein und ihn zurückweisen?
Ich bin kein Idealist: ich gehe meinen Weg sowie Mutter Natur mir diesen am leichtesten begehbar zeigt: ich benutze und greife alles was sie mir aus ihrer natürlichen Triebkraft heraus bietet.
Leitet dieses zum Bauen? Leitet dieses zur Kunst?
Müssen wir uns darüber wirklich auseinandersetzen?
Seien wir grosszügig! Überlassen wir vorläufig die Kunst den rückwärts schauenden Idealisten: der Heimatkunst und dem Heimatschutz, dem Kunstgewerbe und der Volkskunst. Sie haben schon soviele Unbequemlichkeit wegen ihrer unglücklichen Liebe!
Haben wir es gut! Wer weiss - ich denke an meinen Freund, den russischen Kollegen, - erweist sich eines Tages, dass wir schliesslich auch Kunst gemacht haben.