Menno ter Braak
aan
Albert Vigoleis Thelen

Den Haag, 3 januari 1938

Haag, am 3. Jan. '38

 

Lieber Thelen

Vielen dank für Ihren herzlichen Brief, vom 29.12.37. Inzwischen habe ich das Manuskript mit den ‘kleinen Streichungen’ von Herrn Lion zurück erhalten, und ich muss sagen, dass ich ordentlich durch die Sache empört bin. Ich lege erstens das Manuskript bei, wie er es ‘bearbeitet’ hat, und zweitens seinen Brief und Karte. Die ‘gelinden Milderungen’ über die Mann mir geschrieben hat, offenbaren sich hier als eine regelrechte Kastration. Meine erste Reaktion war: das niemals! Meine zweite: Thelen hat sich soviel Mühe gegeben für die Übersetzung, ich will erst seine Meinung fragen. Lesen Sie bitte das Ganze durch, und schicken Sie mir alles umgehend (eingeschrieben) zurück, mit Ihrer Meinung. Ich bin so wütend, das ich vielleicht den Herrn Redakteur falsch beurteile. Das Problem ist: kann ich einen kastrierten Aufsatz, der nicht meine Arbeit ist, sondern eine Auswahl aus meinen Gedanken, soweit sie dem Humanismus nicht allzu unangenehm sind, unter meinem Namen veröffentlichen? Wenn ja, nach Ihrer Meinung, dann würde ich darauf bestehen, dass aus einer dem Aufsatz beigegebenen Notiz hervorgeht, dass aus taktischen Gründen geschrieben wurde.

Eigentlich schäme ich mich am meisten für Herrn Lion! Der, nebenbei gesagt, mit keinem Wort erwähnt, dass den ‘kleinen Streichungen’ ein Plan zugrunde liegt. Ich hatte Ihm in meiner Unschuld vorgeschlagen 6 oder 7 Seiten zu streichen und den Inhalt mit zwei oder drei Sätzen zusammen zufassen, jetzt aber begreife ich, dass die humanistischen Absichten auf ein andres Ziel lossteuern.

Wenn nur ich bei der Sache interessiert war, würde ich nicht einen Augenblick zweifeln und Hernn Lion antworten, dass ich von der Veröffentlichung des Aufsatzes in ‘Mass und Wert’ absehe. Im gegebenen Fall aber bin ich nicht allein, und Ihre Arbeit würde umsonst sein. Darum: wenn es Ihnen möglich scheint, den Lionschen Terbraak-Aufsatz (mit einer Notiz über die Streichungen) in veröffentlichen, werde ich mich damit ohne Bedenken abfinden.

‘Die grosse Gleichheit’ werde ich heute durchsehen und, ganz abgesehen von diesem lionesken Falle, am Thomas Mann schicken. Ich warte damit aber, bis ich Ihre Antwort habe, denn auf jeden Fall will ich ihm über den Machiavellismus Lions benachrichtigen.

Fragen Sie bitte auch Henny nach seiner Meinung. Sie ist mir gleichfalls sehr wichtig in dieser Angelegenheit,

mit herzlichem Gruss

Ihr

Menno ter Braak

 

Origineel: Den Haag, Letterkundig Museum

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