Thomas Mann
aan
Menno ter Braak

Küsnacht-Zürich, 28 augustus 1937

28.VIII.37

Lieber und sehr verehrter Herr ter Braak:

Ich habe Ihnen für mehreres Erfreuliche zu danken, Ihren Brief, den Aufsatz in ‘Het Vaderland’ und Ihren ausserordentlich fesselnden Nietzsche-Freud Aufsatz. Der Artikel in Het Vaderland hat mich hauptsächlich interessiert und erfreut als Niederschlag Ihres Besuches bei uns, wenn ich auch gewiss den Wert nicht unterschätze, den er als schönes geistiges Propaganda-Mittel für unsere neue Zeitschrift besitzt. Sie sehen, über seinen Geist und seine allgemeine Haltung bin ich mir im Ganzen ziemlich klar geworden, wenn mir auch im Einzelnen der Sprache wegen viel entgehen musste. Das war mir schmerzlich, aber es ist nichts daran zu ändern.

Desto genauer, Wort für Wort, habe ich den Nietzsche-Freud Aufsatz mir zu Gemüte geführt und mich ausgezeichnet dabei unterhalten. So gerne ich Sie schon um dieses Stück für unsere Zeitschrift bitten würde, so sagte ich Ihnen ja schon, dass ich mir mit der Veröffentlichung doch wohl zu sehr ins eigene Fleisch schneiden würde, was Ihnen meine Rede über Freud bestätigen wird, die ich Ihnen in den nächsten Tagen sende. Ich habe deswegen nach Wien geschrieben. Ausserdem aber scheint mir auch die wertvergleichende Zusammenstellung dieser beiden Geister nicht gerade glücklich. ‘Ebenbürtige Gegner’? Sie sind weder Gegner, noch ebenbürtig - Nietzsche, der Kulturkritiker grössten Stiles, bei dem übrigens die ganze Psychoanalyse gelegentlich genieblitzweise schon vorkommt und nur ein kleines Segment seiner Welt bildet, und Freud, der Gelehrte, der Forscher, tief und kühn und in manchen Dingen befreiend und neu genug, aber ein Genie gewiss nicht in dem Sinn und dem Stil, wie Nietzsche es war. So hat man beim Lesen beständig das Gefühl der Ungerechtigkeit, wenn Sie die beiden mit einander vergleichen, und ein Lieblingsbegriff Nietzsches, das ‘Pathos der Distanz’, scheint mir dabei zu kurz zu kommen, wie denn etwa nun gar die Namen Feuchtwanger und Maurois in den Aufsatz geraten sind wie Pontius ins Credo.

Aber das ist alles ganz gleichgültig, der Aufsatz fesselt, nicht nur durch seinen doppelt anziehenden Gegenstand, sondern durch die reizvoll essayistische und geistreiche Behandlungsweise, trotzdem auf Schritt und Tritt, und wenn ich ihnen hiermit zurückgebe, so trenne ich mich ungern davon.

Der Zusendung des Buchkapitels über das Christentum sehe ich mit Spannung entgegen. Sie wissen, dass ich mich in dem Vorwort für das Christentum als eine der Grundlagen der abendländischen Gesittung einigermassen eingesetzt habe. Hoffentlich ist Ihre Kritik des Christentums also nicht gar zu radikal.

Mit herzlichen Grüssen und wiederholtem Dank, lieber Herr ter Braak,

Ihr ergebener Thomas Mann

 

Origineel: Den Haag, Letterkundig Museum.

 

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